© Jan Windszus Photography
In der Kinderstube der Moderne
Wien um 1900 – im Klangraum zwischen Tradition und Umsturz, im brodelnden Spannungsfeld zwischen Brahms und Wagner, zwischen Akademie und Avantgarde, formieren sich junge Komponisten zu einer neuen Bewegung. Alexander Zemlinsky und Franz Schreker, getrieben vom »Jagen nach dem Kunstideal«, beginnen einen Weg, der nicht glatt, aber umso aufregender ist. Ihre Musik klingt nach Frühling und Fieber, nach blühender Sehnsucht und trotziger Eigenständigkeit. Mit dem Sinfoniekonzert Stimmen führt die Komische Oper Berlin zurück in diese Kinderstube der Moderne, einem Labor der Klangvisionen, deren zarte Spuren sich auch in Erich Wolfgang Konrgolds späteren Filmkompositionen wiederfinden lassen. Eine Einführung über konservative Trägheit, radikale Hingabe und klanggewordene Manifeste – von Wolfgang Behrens.
Im Mai 1917 schrieb der Komponist Franz Schreker einen Brief an seinen Kollegen Alexander Zemlinsky anlässlich der Wiener Uraufführung von dessen Oper Eine fiorentinische Tragödie. Schreker war – anders als große Teile der Kritik – offenbar begeistert über das neue Werk, wobei wir den Grad der Begeisterung nicht genau bemessen können, denn der Brief ist verlorengegangen. Immerhin kennen wir Zemlinskys Antwort, der sich über Schrekers Lob »ausserordentlich gefreut« hat und dann einen sehr bezeichnenden Satz hinzusetzt:
»Sie wissen – wir, Sie, Schönberg, ich u. die eben Aehnlichgesinnten können u. dürfen zunächst nur Wenige aber Gute für unsere Werke werben.«
Bezeichnend daran ist vor allem eine Haltung, die Zemlinsky nicht nur sich selbst zuschreibt, sondern für die er auch gleich den Empfänger seiner Zeilen mit in Anspruch nimmt. Sie entspringt einer seltsamen Mischung aus Selbstsicherheit, Sendungsbewusstsein und nicht gänzlich verborgener Larmoyanz. Zemlinsky definiert in diesem Satz eine Gruppe (zu der mit Arnold Schönberg nicht zuletzt der avantgardistischste Komponist seiner Zeit gehörte), der es vorerst nicht vergönnt ist, die große Masse zu erreichen (und keiner sage, dass Zemlinsky sie nicht gerne erreicht hätte). Zugleich aber macht er klar, dass der eingeschlagene Weg dieser »Aehnlichgesinnten« nicht falsch sei – und dass diejenigen, die man eben doch für sich gewinnen könne, wenigstens die »Guten« seien. Zemlinsky nimmt also eine Haltung ein, die man die »sezessionistische« nennen könnte: Er setzt sich und einige andere Komponisten von einem musikalischen Mainstream ab, der zwar breitenwirksam, aber in den Augen der Sezessionisten schon lange nicht mehr gut ist.
»Sie wissen – wir, Sie, Schönberg, ich u. die eben Aehnlichgesinnten können u. dürfen zunächst nur Wenige aber Gute für unsere Werke werben.«
Bezeichnend daran ist vor allem eine Haltung, die Zemlinsky nicht nur sich selbst zuschreibt, sondern für die er auch gleich den Empfänger seiner Zeilen mit in Anspruch nimmt. Sie entspringt einer seltsamen Mischung aus Selbstsicherheit, Sendungsbewusstsein und nicht gänzlich verborgener Larmoyanz. Zemlinsky definiert in diesem Satz eine Gruppe (zu der mit Arnold Schönberg nicht zuletzt der avantgardistischste Komponist seiner Zeit gehörte), der es vorerst nicht vergönnt ist, die große Masse zu erreichen (und keiner sage, dass Zemlinsky sie nicht gerne erreicht hätte). Zugleich aber macht er klar, dass der eingeschlagene Weg dieser »Aehnlichgesinnten« nicht falsch sei – und dass diejenigen, die man eben doch für sich gewinnen könne, wenigstens die »Guten« seien. Zemlinsky nimmt also eine Haltung ein, die man die »sezessionistische« nennen könnte: Er setzt sich und einige andere Komponisten von einem musikalischen Mainstream ab, der zwar breitenwirksam, aber in den Augen der Sezessionisten schon lange nicht mehr gut ist.
Stimmen
Das Chorkonzert unter den Sinfoniekonzerten
mit Werken von Alexander Zemlinsky, Erich Wolfgang Korngold und Franz Schreker
Zemlinsky konnte durchaus damit rechnen, dass Franz Schreker sich mit dieser Bemerkung angesprochen fühlen würde. Beide hatten als Angehörige ungefähr derselben Generation (Zemlinsky wurde 1871 geboren, Schreker 1878) vergleichbare Erfahrungen gemacht: Sie hatten in Wien unter ähnlichen Umständen studiert (beide bei dem als eher konservativ geltenden Robert Fuchs, dem der sicherlich nicht nur ehrend gemeinte Spitzname »Serenaden-Fuchs« anhing), sie verspürten früh den Wunsch – um mit Schreker zu sprechen –, »ein Kunstideal zu erjagen« und somit die Ausdruckspalette ihrer Zeit zu erweitern, bald wurden sie von der Öffentlichkeit als Teil der Moderne wahrgenommen und stießen auf entsprechende Hindernisse in eher schwerfällig reagierenden Institutionen. Die schlagendste Parallele der Biografien Zemlinskys und Schrekers dürften ihre jeweiligen Schwierigkeiten darstellen, an der Wiener Hofoper zur Aufführung zu gelangen: 1907 hatte der damalige Hofoperndirektor Gustav Mahler Zemlinskys Oper Der Traumgörge zur Uraufführung angenommen, doch sein Nachfolger Felix Weingartner setzte den Vertrag 1908 außer Kraft. Ebendieser Weingartner wiederum hatte Schreker die Uraufführung seiner Oper Der ferne Klang fest zugesagt, die dann von Weingartners Nachfolger Hans Gregor verhindert wurde. Wichtige Karriereschritte der beiden Komponisten erfolgten somit erst mit Verspätung.

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Tatsächlich hatte das Grundgefühl der Zurücksetzung durch den konservativen Wiener Musikbetrieb Zemlinsky gemeinsam mit Arnold Schönberg und vielen anderen schon 1904 zur Gründung eines sezessionistischen Vereins getrieben, der »Vereinigung schaffender Tonkünstler in Wien«. Der Musikwissenschaftler Guido Adler schrieb damals in der führenden Zeitung Wiens Neue Freie Presse:
»Sie [die Komponisten des neuen Vereins] lösen sich los von den jetzt bestehenden Vereinigungen und bilden eine musikalische Sezession, wie dies auf dem Gebiet der bildenden Kunst vor sich gegangen ist. […] Die
›Mehrzahl der schaffenden Künstler Wiens‹ wird von einigen angeführt und zu neuen Taten angespornt. Es wurden mir einige genannt: Alexander v. Zemlinsky, Josef v. Woeß, Karl Weigl, Franz Schmidt, Arnold Schönberg, Oskar Posa, Gustav Gutheil – Namen nach dem sezessionistischen Alphabet geordnet; dem größeren Publikum zum Teil noch wenig bekannt, gewinnen sie in Musikerkreisen Ansehen und Anhang.«
Interessanterweise fehlt Franz Schreker. Er war nicht Mitglied der Vereinigung, obwohl er aus heutiger Sicht dort unbedingt hingehört hätte. Möglicherweise jedoch war Schreker noch sezessionistischer als die Sezessionisten und schloss für sich – zumindest damals – die Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe oder gar Bewegung aus. Für das von der »Vereinigung schaffender Tonkünstler« verfolgte Projekt der Moderne blieb Schreker freilich eine wichtige Figur, nicht nur wegen seiner Kompositionen, sondern auch als Dirigent. Maßstabsetzend wurde etwa die von ihm 1913 geleitete Uraufführung von Arnold Schönbergs riesig dimensioniertem Chor- und Orchesterwerk Gurre-Lieder.
»Sie [die Komponisten des neuen Vereins] lösen sich los von den jetzt bestehenden Vereinigungen und bilden eine musikalische Sezession, wie dies auf dem Gebiet der bildenden Kunst vor sich gegangen ist. […] Die
›Mehrzahl der schaffenden Künstler Wiens‹ wird von einigen angeführt und zu neuen Taten angespornt. Es wurden mir einige genannt: Alexander v. Zemlinsky, Josef v. Woeß, Karl Weigl, Franz Schmidt, Arnold Schönberg, Oskar Posa, Gustav Gutheil – Namen nach dem sezessionistischen Alphabet geordnet; dem größeren Publikum zum Teil noch wenig bekannt, gewinnen sie in Musikerkreisen Ansehen und Anhang.«
Interessanterweise fehlt Franz Schreker. Er war nicht Mitglied der Vereinigung, obwohl er aus heutiger Sicht dort unbedingt hingehört hätte. Möglicherweise jedoch war Schreker noch sezessionistischer als die Sezessionisten und schloss für sich – zumindest damals – die Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe oder gar Bewegung aus. Für das von der »Vereinigung schaffender Tonkünstler« verfolgte Projekt der Moderne blieb Schreker freilich eine wichtige Figur, nicht nur wegen seiner Kompositionen, sondern auch als Dirigent. Maßstabsetzend wurde etwa die von ihm 1913 geleitete Uraufführung von Arnold Schönbergs riesig dimensioniertem Chor- und Orchesterwerk Gurre-Lieder.
Die Väter der Wiener Moderne: Brahms und Wagner
Aus welchen Quellen aber speiste sich das Projekt der Moderne, das gerade im Wien der Jahrhundertwende mit solchem Eifer verfolgte wurde? Kompositionsstudenten der 1890er-Jahre wie Zemlinsky und Schreker fanden ein Feld vor, das vor allem von zwei Positionen besetzt war – Positionen, die in der Öffentlichkeit zu antipodischen, wenn nicht sogar feindlichen aufgebauscht wurden.
Auf der einen Seite stand Johannes Brahms (den sein Anknüpfen an Kompositionsprinzipien der Wiener Klassik zum Liebling der akademischen Kompositionslehre, aber auch der konservativen Musikkritik machte), auf der anderen stand Richard Wagner, dessen Konzept des Musikdramas sowie die damit verbundene Erweiterung der harmonischen Bandbreite noch immer neu waren und das Publikum polarisierten. Aus dieser Situation konnten die Komponisten die unterschiedlichsten Schlüsse ziehen: Wagner-Überbietung konnte eine Möglichkeit sein (und wirklich sorgte Richard Strauss’ Salome 1905 in dieser Hinsicht für einen neuen, sozusagen hypermodernen Aufreger). Andere jedoch wollten die öffentlich inszenierte – um nicht zu sagen: erfundene – Gegnerschaft von Brahms und Wagner nicht akzeptieren und suchten Wege, beide Seiten zu verknüpfen und daraus etwas Neues zu amalgamieren. Hierhin gehören wohl die meisten Komponisten der »Vereinigung schaffender Tonkünstler«, also etwa Zemlinsky und Schönberg, und hierhin gehört auch Schreker. Was aus den Zutaten entstehen würde, war um 1900 ziemlich offen – und dass Arnold Schönberg schließlich in die Atonalität und zuletzt in Richtung der sogenannten Zwölftontechnik stürmen würde, war noch lange nicht ausgemacht und beileibe nicht so zwangsläufig, wie es manchmal behauptet wird. Es gab auch nach Schönbergs Innovationen genügend Musiker:innen, die ihm nicht in die neuen Klangwelten folgten, sich aber trotzdem mit Recht als »modern« verstehen durften, weil sie andere kompositorische Konsequenzen aus der Brahms-Wagner-Ausgangslage gezogen hatten. Zemlinsky und Schreker sind Paradebeispiele für solche Sonderwege (die übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg ziemlich gründlich vergessen wurden und erst wieder mühsam ins Bewusstsein der musikinteressierten Öffentlichkeit gebracht werden mussten – die Tatsache, dass sie als Juden während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland verfemt waren, hat dieses Vergessen befördert; dass Schönberg sich auf ganz andere Art durchsetzen konnte, ist wohl einerseits seiner Radikalität geschuldet, andererseits aber auch dem gleichsam zufälligen Faktum, dass er den Krieg überlebte).
Auf der einen Seite stand Johannes Brahms (den sein Anknüpfen an Kompositionsprinzipien der Wiener Klassik zum Liebling der akademischen Kompositionslehre, aber auch der konservativen Musikkritik machte), auf der anderen stand Richard Wagner, dessen Konzept des Musikdramas sowie die damit verbundene Erweiterung der harmonischen Bandbreite noch immer neu waren und das Publikum polarisierten. Aus dieser Situation konnten die Komponisten die unterschiedlichsten Schlüsse ziehen: Wagner-Überbietung konnte eine Möglichkeit sein (und wirklich sorgte Richard Strauss’ Salome 1905 in dieser Hinsicht für einen neuen, sozusagen hypermodernen Aufreger). Andere jedoch wollten die öffentlich inszenierte – um nicht zu sagen: erfundene – Gegnerschaft von Brahms und Wagner nicht akzeptieren und suchten Wege, beide Seiten zu verknüpfen und daraus etwas Neues zu amalgamieren. Hierhin gehören wohl die meisten Komponisten der »Vereinigung schaffender Tonkünstler«, also etwa Zemlinsky und Schönberg, und hierhin gehört auch Schreker. Was aus den Zutaten entstehen würde, war um 1900 ziemlich offen – und dass Arnold Schönberg schließlich in die Atonalität und zuletzt in Richtung der sogenannten Zwölftontechnik stürmen würde, war noch lange nicht ausgemacht und beileibe nicht so zwangsläufig, wie es manchmal behauptet wird. Es gab auch nach Schönbergs Innovationen genügend Musiker:innen, die ihm nicht in die neuen Klangwelten folgten, sich aber trotzdem mit Recht als »modern« verstehen durften, weil sie andere kompositorische Konsequenzen aus der Brahms-Wagner-Ausgangslage gezogen hatten. Zemlinsky und Schreker sind Paradebeispiele für solche Sonderwege (die übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg ziemlich gründlich vergessen wurden und erst wieder mühsam ins Bewusstsein der musikinteressierten Öffentlichkeit gebracht werden mussten – die Tatsache, dass sie als Juden während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland verfemt waren, hat dieses Vergessen befördert; dass Schönberg sich auf ganz andere Art durchsetzen konnte, ist wohl einerseits seiner Radikalität geschuldet, andererseits aber auch dem gleichsam zufälligen Faktum, dass er den Krieg überlebte).
Frühwerke von Zemlinsky und Schreker
Das heutige Konzert der Komischen Oper Berlin bietet die rare Möglichkeit, in die Frühzeit dieser Wiener Moderne hineinzuhören – in ihre Kinderstube gleichsam, die nach und nach zur Küche umgebaut wurde. Sowohl Zemlinskys Werke Frühlingsglaube und Frühlingsbegräbnis als auch Schrekers 116. Psalm und Der Holdestein (dessen von Chordirektor David Cavelius erstellte Orchesterfassung heute zur Uraufführung kommt) sind vor bzw. genau 1900 entstanden, zu einer Zeit also, da beide Komponisten noch keinen ausgeprägten Personalstil aufwiesen. Der Befund ist recht eindeutig: Den vorderhand bestimmenden Einfluss übt Johannes Brahms aus. Es wäre verfehlt, die Anfänge von Zemlinsky und Schreker deshalb als konservativ zu bezeichnen – die scheinbar so klassizistische Musik von Brahms bot genug Material, um sie anschlussfähig für jüngere Komponisten zu machen (etwa das später von Schönberg so genannte Verfahren der »entwickelnden Variation«, das die in einem Werk angelegten Motive permanent in Bewegung hält und dabei sukzessive verändert). Trotzdem darf man wohl in diesen Frühwerken der beiden einen Reflex auf ihre Ausbildung sehen, in welcher die Tonsprache Richard Wagners gerade nicht enthalten war. Der Bezug auf Brahms ist sogar überdeutlich – Schreker scheint mit seiner Psalm-Vertonung, die mit einigen kontrapunktischen Fertigkeiten aufwartet (kanonartige Choreinsätze sowie eine Fuge im Schlussteil) und sich in der Instrumentation direkt an das Deutsche Requiem anlehnt, recht direkt auf eine gemeinsame Aufführung mit dem Brahms-Werk abzuzielen. Und auch Zemlinskys Frühlingsbegräbnis muss als Hommage an Brahms und dessen Deutsches Requiem gelesen werden – hier geht die Verwandtschaft bis hin in Motivgemeinschaften mit dem Vorbildwerk. Allerdings weist die Konzeption des Frühlingsbegräbnisses bereits deutlich ambitioniertere Züge als Schrekers 116. Psalm auf: Die Gliederung des Werkes lässt sich zwanglos als eine viersätzige Sonate (oder Sinfonie) deuten, wobei einem Trauermarsch (»Schöner Jüngling, wie lieblich er ruht«) die Funktion des Eröffnungssatzes zukommt, auf den ein Scherzo (»Stumm in Wehmut scheint der Mond herab«), ein Andante-Satz (»Und ein Specht klopft an den Föhrenstamm«) und das Finale (»Horch! vom Hügel welch’ ein wilder Klang?«) folgen. Spätestens in der Einleitung zu diesem Finale zeigt Zemlinsky indes auch, dass er in puncto Harmonik und orchestralem Effekt bereits in Richtung Wagner schielt, das akademische Korsett des 19. Jahrhunderts wird ihm hier spürbar zu eng, das spätere Amalgam der angeblich so gegensätzlichen Stile kündigt sich an.

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Schwanengesang
Noch einen Schritt weiter in diese Richtung geht Franz Schreker 1902 mit seinem Schwanensang für gemischten Chor und Orchester op. 11. Symptomatisch ist bereits die Textwahl: Weder die Vorlagen für die Zemlinsky-Werke (Ludwig Uhland und Paul Heyse) noch die biblische Vorlage des Psalmes oder gar die literarisch eher fragwürdige und das unfreiwillig Komische streifende (»Ein Schrei, ein Fall, der Fels ist leer«) Schauerballade von Rudolf Baumbach konnten irgendeine Modernität für sich in Anschlag bringen. Für den Schwanensang ließ sich Schreker einen Text von seiner Jugendfreundin Dora Pollak (die unter dem Pseudonym Dora Leen publizierte) schreiben, die seine Suche nach einem neuen Kunstideal geteilt haben dürfte. Ob literarisch gelungen oder nicht – mit dieser Vorlage konnte Schreker eine Tür aufstoßen. Die fugierten Passagen des Psalms sind zwar geblieben, doch der gesamte Tonfall des Werks hat sich verschoben. Schon die einleitenden Takte des Orchesters sind ohne Wagners Lohengrin-Vorspiel nicht denkbar, die Instrumentation insgesamt bricht in jene Regionen irisierender Klänge auf, für die Schreker später berühmt werden sollte, und die Harmonik überrascht mit chromatischen Farben, die im nur zwei Jahre vorher entstandenen Psalm noch keine Entsprechung haben. Der Schwanensang dürfte eines der ersten Werke Schrekers sein, die eine gewisse überzeitliche Gültigkeit für sich beanspruchen dürfen – infolgedessen war der Schwanensang auch eines jener Werke, die 1935 – ein Jahr nach Schrekers Tod – im Rahmen eines repräsentativen Gedenkkonzertes im großen Wiener Musikvereinssaal zur Aufführung kamen. Tatsächlich lässt sich an ihm der Stand der Wiener Moderne um 1900 exemplarisch ablesen.

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Ein Erbe der Moderne: Erich Wolfgang Korngold
Der Komponist Erich Wolfgang Korngold kann durchaus als ein Erbe Zemlinskys und Schrekers gesehen werden. Als Werke wie Frühlingsbegräbnis oder Schwanensang in die Welt traten, war er freilich noch ein Kleinkind, und das Einzige, was ihn in seinen ersten Lebensjahren mit Komponisten wie Schönberg, Zemlinsky oder Schreker verband, war die Person seines Vaters Julius Korngold. Dieser fungierte als Kritiker – wobei das eine Untertreibung ist, denn Julius Korngold war im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts eine Institution der Kritik, und als solche trat er nicht zuletzt als Geißel aller modernen Tendenzen in der Musik in Erscheinung: Zemlinsky und Schreker konnten ein Lied davon singen. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass sich Erich Wolfgang Korngold als veritables Wunderkind – mit und nicht zuletzt durch Unterstützung seines Vaters – noch in das Wiener Projekt der Moderne einschreiben konnte, dem Julius Korngold so feindlich entgegengetreten war. Und zum schlechten Treppenwitz wird das Ganze dadurch, dass Vater und Sohn Korngold schließlich ebenso wie Schönberg und Zemlinsky zur Emigration in die USA gezwungen wurden. Eine immer wieder aufgeworfene Frage in diesem Zusammenhang lautet: Wie hätte sich Erich Wolfgang Korngolds Musik entwickelt, hätte er in einem kunst- und avantgardefreundlichen Europa (also in einem Europa ohne den Nationalsozialismus) bleiben können? In Amerika jedenfalls hat sich Korngold vom weitgefassten Projekt der Moderne abgewandt – jedoch nicht, um die Ansichten seines konservativen Vaters zu bestätigen, sondern aus ökonomischen Gründen. Der Erfolg, den er von den 1930er-Jahren an als Filmkomponist in Hollywood erzielte, machte ihn selbstausgerufenen Tugendwächtern der reinen Tonkunst auf Jahrzehnte suspekt. Diesen kann man freilich entgegenhalten, dass sich im20. Jahrhundert das Gefüge der Künste insgesamt verschob – der Film sprang als neues Gesamtkunstwerk in die Bresche, und Korngold bediente das neue Genre glänzend, was zwei Oscar-Auszeichnungen für seine Filmmusiken unmissverständlich belegen. Im 1943 herausgekommenen Film The Constant Nymph (»Liebesleid«) von Edmund Goulding durfte Korngold sein eigenes Metier reflektieren, denn im Mittelpunkt des Films stand die Persönlichkeit eines Komponisten, des fiktiven Charakters Lewis Dodd. Wenn man die wichtigste Nummer dieses Films, Tomorrow, hört, dann läuft im Hintergrund vielleicht auch jenes Gewisper der Tugendwächter mit, die »Sakrileg!« und »Kitsch!« murmeln. Doch nüchtern betrachtet, ist auch dieses Stück Musik ein spätes – und nicht das schlechteste! – Produkt jener Wiener Moderne, die um 1900 nach einem neuen Amalgam aus Brahms und Wagner suchte.
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10. Februar 2025
Auf der Suche nach einer neuen Klangsprache
Von Feuertänzen, Stürzen und Bizarrerien – eine Einführung zum Sinfoniekonzert Date
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17. Dezember 2024
Die Kunst der Variation
Von Klezmorim über Gustav Mahler zu Uri Caine – Eine Einführung zum Neujahrskonzert Alles auf los
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25. November 2024
Einfach schöne Musik
Ein Gespräch mit Herbert Fritsch über die Leichtigkeit Neuer Musik, die Schönheit chaotischer Rhythmen und mitreißende Spielfreude
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10. Juni 2024
Flotte Sohle: Die »Roaring Twenties« und die Melancholie der Welt
Schmissige Rhythmen, nostalgische Melodien und visionäre Techniken: Die Komponisten des Sinfoniekonzerts Flotte Sohle sind durchaus keine Mauerblümchen, nein, sie wagten den Schritt ins kreative Niemandsland und wurden von Zeitgenoss:innen, Parteien, Landsmännern und -frauen sowie Fremden dafür verlacht und verboten. Mutig und entfesselt wagten sie sich aber dennoch aufs Parkett, inspiriert vom Jazz und voller innovativer Ideen, um die Musikwelt zum Tanzen zu bringen! Eine Einführung über visionäre Skandale, surrealistische Filmmusik und einen Totengräber des Tango...
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1. Mai 2024
Große Literatur, große Chöre, große Gefühle!
Schauspielerin Laura Balzer erweckt die furchtlose Frauenfigur Antigone in Mendelssohn Bartholdys Schauspielmusik zum Leben.
Unsere Chorsolisten kennen Sie natürlich als unübertroffen wandelbaren und wichtigen Teil unserer Inszenierungen. Im Sinfoniekonzert Antigone erleben Sie sie an diesem Freitag (3. Mai) gemeinsam mit dem Vocalconsort Berlin und dem Orchester der Komischen Oper Berlin unter der Leitung von David Cavelius erstmals konzertant auf der Bühne des Schillertheaters.
Neben Mendelssohn Bartholdys Theatermusik zu Antigone steht auch Schumanns Spanisches Liederspiel auf dem Programm – ein Ohrenschmaus für alle Chorbegeisterten!
Foto Laura Balzer © Stefan Klüter
Unsere Chorsolisten kennen Sie natürlich als unübertroffen wandelbaren und wichtigen Teil unserer Inszenierungen. Im Sinfoniekonzert Antigone erleben Sie sie an diesem Freitag (3. Mai) gemeinsam mit dem Vocalconsort Berlin und dem Orchester der Komischen Oper Berlin unter der Leitung von David Cavelius erstmals konzertant auf der Bühne des Schillertheaters.
Neben Mendelssohn Bartholdys Theatermusik zu Antigone steht auch Schumanns Spanisches Liederspiel auf dem Programm – ein Ohrenschmaus für alle Chorbegeisterten!
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#KOBSiKo
Chorsolisten
25. April 2024
Geballte Chorpower
Händel, Mozart, Henze, Reimann, Tschaikowski und auch Straus. Ihre Bandbreite ist unglaublich! Nicht umsonst wurden unsere großartigen Chorsolisten mehrmals vom Magazin Opernwelt zum »Opernchor des Jahres« gewählt. Normalerweise erleben Sie sie ebenso munter tanzend wie hochprofessionell spielend. Doch am 3. Mai dreht sich alles um ihre Kernkompetenz: das Singen.
Beim Sinfoniekonzert Antigone steht Sophokles’ 2500 Jahre alter Widerstandstragödie Robert Schumanns Spanisches Liederspiel in einer eigens von Chordirektor David Cavelius arrangierten Fassung gegenüber. Es erwartet Sie ein literarisch-sinfonischer Abend, der die Frage nach der Vereinbarkeit von Eigensinn und Allgemeinwohl stellt.
Foto © Freese/drama-berlin.de
Beim Sinfoniekonzert Antigone steht Sophokles’ 2500 Jahre alter Widerstandstragödie Robert Schumanns Spanisches Liederspiel in einer eigens von Chordirektor David Cavelius arrangierten Fassung gegenüber. Es erwartet Sie ein literarisch-sinfonischer Abend, der die Frage nach der Vereinbarkeit von Eigensinn und Allgemeinwohl stellt.
Foto © Freese/drama-berlin.de
Chorsolisten
Sinfoniekonzert
#KOBSiKo
2. April 2024
Denk ich an Ostdeutschland …
Richard Wagner und Johann Sebastian Bach, Ruth Zechlin und Siegfried Matthus – mit zwei Leipziger Söhnen und zwei DDR-Ikonen begibt sich das Orchester der KOB unter der Leitung von James Gaffigan auf die Spuren ostdeutscher Musikgeschichte!
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1. November 2023
Späte Wiederentdeckung
Ungefähr 10.000 Notenblätter sind im Nachlass des jüdischen Komponisten Hans Winterberg erhalten. Es sind Partituren für rund 80 Werke, darunter Sinfonien und Klavierkonzerte, Klavier- und Kammermusik. Dass diese lange verschollenen Werke nun wieder gespielt und wie nun an der Komischen Oper Berlin sogar uraufgeführt werden, ist seinem Enkel Peter Kreitmeir zu verdanken. Im Interview erzählt er, wie er die Werke entdeckt hat und welche Hürden er nehmen musste, damit die Musik seines Großvaters wieder in Konzertsälen erklingen kann.
#KOBSiKo
Konzert
31. Oktober 2023
Die Maske fällt, es bleibt der Mensch
Schwingende Rhythmen, verführerische Melodien und zauberhaft-surreale Motive ziehen sich durch das erste Sinfoniekonzert der Komischen Oper Berlin in dieser Spielzeit. Nicht zu Unrecht trägt es den Titel Maskenball, denn hinter der tänzelnden, oft mitreißenden Musik verbergen sich Geschichten von versiegter Liebe und unerfüllter Sehnsucht…
#KOBSiKo
Konzert