Dichter ohne Worte

Von Claude Debussy hat er viel über das Wesen französischer Musik gelernt, von Richard Strauss, wie komplex die Schönheit des Einfachen ist und von Ottorino Respighi, wie Filme ohne Leinwand entstehen – ein Gespräch mit Generalmusikdirektor James Gaffigan über das Sinfoniekonzert Heldenträume und die Kunst sinfonischer Dichtung.
Richard Strauss’ »Don Quixote« gilt als ein Meisterwerk der sinfonischen Dichtung. Warum sticht die Geschichte eines tragischen Helden, erzählt von einem Orchester, heute noch so heraus?

James Gaffigan: Sinfonische Dichtungen sind ein sehr interessantes Genre, die eine Idee – oder wie bei Strauss' »Don Quixote« – eine Erzählung allein durch Musik erleben lassen. Es ist außergewöhnlich, wie Strauss diese beiden Individuen – Don Quixote und seinen 'Knappen' Sancho Panza – so gut mit Solocello und der Solobratsche porträtiert und gleichzeitig diese unglaubliche Reise, auf der sie sich befinden, all diese spezifischen Ereignisse, mit einem Orchester zum Leben erweckt. Das ist schon in seiner »Alpensinfonie« zu erleben, auf interessante Weise auch bei »Don Juan« oder »Till Eulenspiegel«. Aber bei »Don Quxiote« – und auch in seiner Oper »Salome« – klingen die vielen kleinen musikalischen Themen so einfach, weil sie von einer extrem komplexen Orchestrierung umhüllt werden.

Hel­den­träu­me

Eine sinfonische Reise von Rom bis La Mancha

Richard Strauss [1864-1949]
Don Quixote, Phantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters für großes Orchester, op. 35

Claude Debussy [1862–1918]
Prélude à l’après-midi d’un faune

Ottorino Respighi [1879-1936]
Pini di Roma, Sinfonische Dichtung in vier Sätzen
Das macht den Erfolg aus?

James Gaffigan: Sein Erfolg beruht auf der Schönheit, die Musik sehr komplex zu komponieren und sie gleichzeitig so einfach klingen zu lassen, dass sie jeder verstehen kann. Es hilft natürlich, dieses gigantische Meisterwerk, diesen literarischen Giganten »Don Quixote« gelesen zu haben. Dann erwacht es in der Fantasie allein durch die Musik zum Leben, die Abenteuer dieses 'Helden' und seines 'Knappen' erwecken unmittelbar die Fantasie. Je besser man die Geschichte, ihre Orte und Ereignisse kennt, desto mehr Freude und Genuss bereitet das Stück. Erstaunlich ist aber, dass Strauss' Tondichtung selbst ohne Vorkenntnis ein grandioses Erlebnis ist. Und das gelingt nur, wenn ich mich als Dirigent mit eigenen Akzenten zurücknehme. Was mich auf meiner »Don Quixote«-Reise, dieser heroischen Reise, leitet, ist es, der Komposition und damit Strauss treu zu sein. Wenn ich vom Pfad abweichen würde, ginge es mehr um James Gaffigan, der Strauss dirigiert – und weniger um seine Musik.

Welche der beiden Figuren ist Ihnen am nächsten – Sancho Panza oder Don Quixote?

James Gaffigan: Ich schätze die Aufrichtigkeit von Sancho Panza, die ist liebenswert. Aber wenn ich an Figur Don Quixote denke, erweckt das mehr Emotionen in mir. Meine Eltern und Großeltern waren ziemlich realistische Menschen, ich schon immer eher ein Träumer – und ich hatte das Glück, einige meiner Träume verwirklichen zu können. In Don Quixotes Unfähigkeit, zwischen Realität und Fantasie unterscheiden zu können – darin ist etwas unglaublich Schönes zu finden. Es erinnert an Rollenspiele von Kindern, die sich mit ihren Lieblingscharakteren identifizieren und mit Puppen sprechen. Auch wenn Don Quixotes Reise in einer tragischen Erleuchtung endet: Ich denke, dass unsere Welt mehr Don Quixotes braucht.
Bei Richard Strauss erleben wir ein vollendetes Meisterwerk der Programmmusik. Debussys »Prélude à l’après-midi d’un faune« gilt als Werk, dass den Weg von der Romantik zur modernen Musik geebnet hat. Was macht es so revolutionär?

James Gaffigan: »Prélude à l’après-midi d’un faune« ist revolutionär, weil es die Grenzen zwischen Harmonie und Rhythmus so meisterhaft verwischt: Die Musik schwebt frei im Raum als dreidimensionale, orchestrale Klangtextur. In nur zehn Minuten beschwört Debussy eine völlig neue Orchesterlandschaft voller Sinnlichkeit herauf – und das mit einem sehr kleinen Orchester.

Sie bezeichnen Debussy als Meister der Atmosphäre. Wie schafft es Debussy, dass der Zuhörer sich nicht in der Musik verliert?

James Gaffigan: Atmosphäre ist bei Debussy immer nur ein Teil des musikalischen Puzzles: aus ihr schält sich immer etwas Greifbares und Nahbares heraus – sei es eine Soloflöte, eine Klarinette oder ein Horn. Am Höhepunkt seines Stücks ertönt diese sehr bekannte, singbare Melodie. Debussy ist ein Meister darin, eine dichte orchestrale Atmosphäre zu schaffen. Aber erst die feinen, 'reellen' Details, kurze Solopartien, machen sie in ihrer Fülle erlebbar. Das verhält sich wie mit einem Gemälde von Monet: ist man zu nah dran, wirken die die vielen kleinen Details, die vielen Farben wie ein Durcheinander. Erst mit Abstand ergibt sich ein klares Bild. Zwar ist »Prélude à l’après-midi d’un faune« wie auch Strauss' »Don Quixote« eine sinfonische Dichtung. Aber Gegensatz zu Strauss ist es bei Debussy nicht wichtig, das Gedicht Stephan Mallarmés zu kennen, um die Musik zu verstehen. Debussy spielt assoziativer mit der Fantasie, die Bilder sind verschwommener, emotionaler.
Ihr dritter Held, den Sie für das Konzert ausgewählt haben, ist Ottorino Respighi. Wann sind Sie ihm zum ersten Mal begegnet?

James Gaffigan: Mit 17 oder 18 Jahren habe ich im Jugendorchester meiner Highschool »Pini di Roma« auf dem Fagott gespielt. Ich war überwältigt und fasziniert von der Schönheit dieser Komposition. Wie bei Debussy war ich beeindruckt, wie Respighi Atmosphären komponiert und das Unheimliche, das Unterirdische der Katakomben Roms im zweiten Teil, »Pini presso una catacomba«, einfängt. Das ist fast heidnische, höchst ungewöhnliche Musik, mit der Respighi mit Basstrommel, den Pauken, dem Pizzicato der Streicher die düstere Stimmung dieser uralten Kellergewölbe so lebendig ausmalt. Und er war der Erste, der etwas gemacht hat, was wir heute in der Musik als 'Sampling' verstehen: es war Vogelgezwitscher zu hören, eingespielt von einem Grammophon.

Hat »Pini di Roma« deshalb Hollywoods Filmkomponist:innen der 1920er und 1930er inspiriert?

James Gaffigan: Respighis »Pini di Roma« nimmt das Publikum mit auf eine emotionale Reise lebendiger Bilder, ohne dass es eine konkrete Vorstellung der Stadt braucht. Wie bei Strauss sind es die einfachen Melodien, die mit einer sehr komplexen Orchestrierung gestaltet sind. Das Schöne an diesem Aufwand: Man muss kein Musiker sein, um diese Musik zu genießen. Das liegt auch daran, wie gekonnt populäre Elemente und klassische Orchestrierung aufeinandertreffen. Deshalb musste Hollywood diese Art der Musik für seine Soundtracks annehmen, weil sie so farbenreich Emotionen weckt.

Interview: Maximilian Grosser

#­KOBSiKo

23. November 2025
Generalmusikdirektor James Gaffigan spitzt den Klang mit dem Orchester der Komischen Oper... zu. Von den aufsteigenden Klarinetten des ersten Takts an flirrt und gleißt es – mit einem klaren Akzent auf Blech und Schlagwerk. Hörner, Trompeten, Posaunen und Tuben klingen hier schmeichelnd sämig, dann wieder schneidend brutal… Aber die zentralen Momente erblühen plastisch und klar oder knallen einem beeindruckend um die Ohren – und erzählen so von einer Gewalt, die auf der Bühne mit teils drastischen Bildern Wirklichkeit wird.
Georg Kasch, Berliner Morgenpost, 23.11.2025
Salome-Premiere: Ein blutiger Traum zwischen Liebe und Wahnsinn

#KOBSalome
23. November 2025
Ein bestürzender und hochspannender »Salome«-Abend: Regisseur Evgeny Titov lässt die grandiose Nicole Chevalier ohne Kopf auftreten. Generalmusikdirektor James Gaffigan setzt auf eine glanzvoll rauschende und raunende Klangtextur der revolutionären Partitur.
Roland Dippel, concerti, 23.11.2025
Kahlschlag aus Liebe

#KOBSalome
23. November 2025
Titovs Personenführung ist brillant: Weil sie sich im Klangfluss der Partitur bewegen dürfen, weil jede Geste aus dem musikalischen Impuls entwickelt wird, können die Sänger zu Schauspielern werden, auf eine Art, wie man es selten sieht...

Was für eine exzellente Künstlergemeinschaft hier zusammenkommt. Günter Papendell untermauert erneut seine Stellung als Star des Ensembles... Angemessen geifernd und grellstimmig gerät Matthias Wohlbrecht der Herodes, zur auratischen Erscheinung macht Karolina Gumos Herodias... Agustín Gómez’ Narraboth verschmachtet sich berührend nach Salome, eindringlich warnt Susan Zarrabis Page vor dem drohenden Unheil. Wie Nicole Chevalier die mörderische Titelpartie unter ihrer weißen Schutzhaube bewältigt, nötigt Respekt ab, wie sie es schafft, der Gesichtslosen dennoch ein Profil zu verleihen, brillant in der Bewegungs-Choreografie, mit enormem musikalischem Ausdrucksspektrum.
Frederik Hanssen, Der Tagesspiegel, 23.11.2025
»Salome« feiert Premiere: Brillante Personenregie und Orchesterwucht an der Komischen Oper Berlin

#KOBSalome
28. April 2025
So farbenfroh wie düster, sphärisch wie turbulent inszeniert… intensiv… kurzweilig, voll Humor aber auch Tiefgang.
Barbara Wiegand, rbb24 inforadio
Kurzweilig und mit Tiefgang: Don Giovanni an der Komischen Oper


#KOBGiovanni
28. April 2025
Hochambitioniert und höchst unterhaltsam
Joachim Lange, concerti
Leben oder Tod – was tut's

#KOBGiovanni
11. Februar 2025
Diese Verbindung von stehendem und bewegtem Bild, beide unlöslich mit der akustischen Spur im Raum verbunden... ein berührender Dreiklang voller Poesie.
Katja Kollmann, taz
Berührende Kombinationen
#KOBFestival
10. Februar 2025
»Everybody Now!« ist ein innovatives Format für das Berliner Kulturpublikum. Wer die Komfortzone verlässt wie die Komische Oper als Institution, kann Erfolg haben.
Matthias Nöther, Berliner Morgenpost
Festival: Auseinandersetzung mit weiblichen Genitalien
#KOBFestival
18. November 2024
Musikalisch eine reine Freude. Der von David Cavelius einstudierte Chor ist in dieser Stadt als Opernchor zurzeit ohne Konkurrenz, gesanglich erweist er sich als ebenso überlegen wie in gestalterischer Schärfe und Spielfreude. Und James Gaffigan am Pult des Orchesters der Komischen Oper gelingt eine pointierte und farblich enorm reiche Interpretation, die in keinem Moment den Faden verliert. Man spürt den Spaß, den die Arbeit an einer so reizvoll zwischen kompositorischem Anspruch und Popularität oszillierenden Partitur machen muss. Die melodischen Reize ... gelingen so präsent, wie die hintergründige leitmotivische Struktur stets spürbar bleibt.
Peter Uehling, Berliner Zeitung
Die Komische Oper bringt »Sweeney Todd« und die beste Pastete von London auf die Bühne
#KOBSweeneyTodd
28. April 2024
»Beeindruckend, wie nachhaltig Kirill Serebrennikow die Tiefendimension und die politische Stoßkraft der Macht- und Besitzverhältnisse in Mozarts »Le nozze di Figaro«, die Winkelzüge der Gefühle und des Gelächters, reflektiert und darstellen lässt ... Und wie enthusiastisch ihm das Ensemble der Komischen Oper durch das Comedia-Abenteuer all der Krümmungen und Windungen in Mozarts »Tollem Tag« folgt. Ungeteilt die Zustimmung im Berliner Schillertheater.«

»Le nozze di Figaro« von Wolfgang Amadeus Mozart
Wolfgang Schreiber, Süddeutsche Zeitung
#KOBFigaro
28. April 2024
»Dieses entfesselte Theater funktioniert als Ganzes vor allem, weil Tommaso Barea ein in jeder Hinsicht dunkel attraktiver Figaro ist und Hubert Zapiór sein smart arroganter Gegenspieler als Graf Almaviva. Dass Susanna die Frau ist, die hier eigentlich den größten Durchblick hat, wird von der beherzt frischen Penny Sofroniadou durchweg und darstellerisch beglaubigt. Nadja Mchantaf ist als Contessa längst desillusioniert, was die Dauerhaftigkeit von Liebesglück betrifft. Sie klingt auch melancholisch sanft. ... Am Pult des Orchesters der Komischen Oper sorgt James Gaffigan durchweg für die zupackende Dramatik, die diese szenische Deutung herausfordert, setzt ihr aber auch musikalisches Innehalten entgegen und sichert den Sängern Raum zur Entfaltung.«

»Le nozze di Figaro« von Wolfgang Amadeus Mozart
Joachim Lange, NMZ
#KOBFigaro
15. April 2024
»James Gaffigan hat Großes vor an der Komischen Oper Berlin, deren Generalmusikdirektor er seit dieser Saison ist: Der 44-jährige Amerikaner möchte die Musik ins Rampenlicht rücken, wo stets die Regie im Mittelpunkt stand: »Das Orchester ist ein Diamant«, schwärmt er, »den will ich zum Funkeln bringen.« Das Publikum soll spüren, was für großartige Instrumentalistinnen und Instrumentalisten hier spielen. Ein allzu ehrgeiziges Ziel? Als Amerikaner kennt Gaffigan keine Probleme. Nur Herausforderungen.«

Der Tagesspiegel hat James Gaffigan nicht nur mit dieser Begründung zu einem der 100 wichtigsten Köpfe der Berliner Kultur ausgezeichnet – wir gratulieren!

Foto © Jan Windszus Photography
Generalmusikdirektor
30. Januar 2024
Stimmlich und darstellerisch grandios verkörpert Dmitry Ulyanov den König und verdeutlicht, warum es bei Kosky nicht leicht ist, ein Despot zu sein. ...
Sopranistin Kseniia Proshina wird gewissermaßen der rote Teppich ausgerollt. Was sie gar nicht nötig hat. Die Sängerin kann mit einer Eleganz verführen, ihr lyrischer Sopran bewegt sich voller Leichtigkeit durch die Partie, auch wenn sie die geforderten Spitzentöne nur anreißt.
Fantasien eines einsamen Königs, Volker Blech, Berliner Morgenpost
#KOBGoldenerHahn
29. Januar 2024
Das war ein runder, voller Erfolg! Die Komische Oper hat gepunktet. Und zwar mit einem Werk, das ja wirklich ans Haus passt. ... Es ist keine platte Aktualisierung, es ist für Kosky ein Märchen und es geht um die Magie der Bilder. Und alles, was man für heute daraus ableiten könnte, überlässt Kosky der Intelligenz des Publikums. ... James Gaffigan hat diese vielschichtige Partitur wirklich ausgeleuchtet bis in die hintersten Winkel. ... Ein kurzweiliges Vergnügen, der Chor - das Rückgrat des Hauses - mal wieder grandios. ... Wer da hingeht, macht nichts falsch!
Premiere an der Komischen Oper »Der goldene Hahn«, Andreas Göbel, rbbKultur
#KOBGoldenerHahn
29. Januar 2024
Barrie Kosky nimmt uns mit in eine düster-romantische Bühnenwelt. Ein Szenario wie von Caspar David Friedrich gemalt. ... Dmitry Ulyanov verkörpert diesen König Dodon in feinster Falstaffmanier als bra­mar­ba­sie­rend-donnernder Bass. Die matarihafte Verführerin singt Kseniia Proshina mit schillernd-umgarnendem Sopran, eiskalte Spitzen setzend, in orientalisch-verschlungenen Läufen in der überhaupt klangfarbenreichen Musik Rimsky-Korsakows. ... Die entfaltet das Orchester der Komischen Oper unter der Leitung des neuen Generalmusikdirektors James Gaffigan einfühlsam: von zart-romantisch bis zur überdrehten Farce.
Dystopisches Märchen: »Der Goldene Hahn« an der Komischen Oper, Barbara Wiegand, rbb Inforadio
#KOBGoldenerHahn