Minimal Mantra

Ein Gespräch mit Dirigent Jonathan Stockhammer über Donald Trump, musikalische Marathonläufe und lange Berghainbesuche
Der Komponist Philip Glass ist mittlerweile über die Kunstmusik hinaus weltweit schon fast zu einer Art popkulturellem Phänomen geworden. Welchen Stellenwert hat er für Dich?

Jonathan Stockhammer: Philip Glass ist mir erstmals durch seine Filmsoundtracks zu Koyaanisqatsi und später A Brief History of Time bekannt geworden. Dort habe ich bereits gemerkt, dass etwas sehr Hypnotisches in seiner Musik steckt. In dieser Zeit assoziierte man eine solche Klangwelt vor allem mit der New-Wave-Bewegung, die damals im Kommen war und die ich selbst mit all ihren Facetten miterlebt habe. Glass wird im Bereich der klassischen Musik der Minimal Music zugeordnet – ein Etikett, das auch Komponisten wie Terry Riley, John Adams oder Steve Reich aufgeklebt wurde, damit man deren Repertoire besser eingruppieren konnte. Allerdings ist diese Einordnung nicht immer fair, weil das doch sehr unterschiedliche Komponisten sind. Ich muss gestehen, dass ich die Musik von John Adams zunächst attraktiver fand als die von Glass, vielleicht auch, weil ich aus Kalifornien komme, wo Adams seit den 70ern lebt. Die Musik von Adams hatte für mich mehr Farben, mehr Wechsel, mehr sinfonische Dimensionen. Er erlaubt sich Ekstasen, die bei Philip Glass häufig bewusst vermieden werden. Auch Steve Reich ist eine ganz andere Nummer mit Blick auf die Komplexität. So kam es, dass ich Glass erst durch meine Erfahrung mit Satyagraha 2017 hier an der Komischen Oper Berlin richtig zu schätzen gelernt habe.

Echna­ton (Akhna­ten)
Philip Glass

Oper in drei Akten [ 1984 ]

Libretto von Philip Glass in Zusammenarbeit mit Shalom Goldman, Robert Israel, Richard Riddell und Jerome Robbins

©1983 Dunvagen Music Publishers Inc. Used by Permission.
Warum genau kam es bei Satyagrahazu diesem Erweckungserlebnis?

Jonathan Stockhammer: Satyagraha war für mich persönlich, aber auch für das gesamte Publikum und alle Mitwirkenden, wie eine Art Balsam. Die Produktion fiel gerade in die Anfangszeit der ersten Präsidentschaft von Donald Trump, die ein großer Schock war. Man hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass ein Präsident mit so vielen Lügen, Beleidigungen und Frontalangriffen durchkommen konnte. Es war nicht nur schockierend zu sehen, dass Trump so aufgetreten ist, sondern auch, dass die Welt dieses Verhalten in großen Teilen akzeptierte. Satyagraha beschäftigt sich mit dem Wirken Gandhis – es geht um Gerechtigkeit und ein universelles Verständnis von der Kraft der Wahrheit. So eine Botschaft nicht nur einmal, sondern wiederholt über mehrere Stunden immer und immer wieder zu hören, hat sehr gutgetan. Ich habe dadurch plötzlich Subtilitäten in der Musik bemerkt, die mir zunächst gar nicht aufgefallen waren. Die Musik war eine große seelische Unterstützung.

Du deutest es gerade schon an: Die Musik von Philip Glass lebt von ständigen Wiederholungen. Für viele ist aber gerade das abschreckend, da sich über einen langen Zeitraum musikalisch so wenig verändert. Wie gelingt es, dass eine solche repetitive Klangsprache nicht langweilig wird?


Jonathan Stockhammer: Die Musik von Philip Glass ist in jedem Fall nicht beliebig. Leider gibt es das Klischee, dass Glass nur dem Motto folgen würde: »Ich werde aus Spaß alles lange wiederholen, bis ich nach einer Ewigkeit endlich mal weitergehe«. Satyagraha hat mir jedoch gezeigt, wie klug die Musik von Glass konstruiert ist. Klug nicht nur im musikanalytischen Sinn, sondern auch in ihrer Publikumswirksamkeit. In den drei Akten von Satyagraha konnte man richtig spüren, wie das Publikum in der ersten Stunde zu kämpfen hatte und wie der zweite Akt zu einer großen Überwindung wurde. Doch im dritten Akt hatten schließlich alle das Gefühl, dass wir uns als kollektive Gemeinde dazu entschieden haben, in der Vorstellung zu bleiben. Alle haben sich voll darauf eingelassen und sind mit dieser Ekstase mitgegangen. Der Jubel und die Freude waren am Ende unglaublich groß. Diese Form von scheinbar minimalistischer Komposition ermöglicht dieses Gefühl, weil man wie in einer Art Mantra existenzielle Ideen immer wieder hört. Dadurch kann man eine Idee auf ungeahnte Weise wertschätzen. Man beginnt die kleinen Entwicklungen zu bemerken, die kleinen Unterschiede, die Konturen eines längeren Geflechts. Im Augenblick der Aufführung werden alle sonstigen Gedanken im Publikum ausgeschaltet – es ist meditativ im besten Sinne und beschert einen Moment, den es so nicht oft im Konzertsaal beziehungsweise Opernhaus gibt.
Worin liegen Deiner Meinung nach die Unterschiede zwischen Satyagraha und Echnaton?

Jonathan Stockhammer: Ich merke auf jeden Fall, dass Glass von seinen eigenen kompositorischen Erfahrungen profitiert hat und dass er Dinge, die er in Satyagraha musikalisch noch schwer überwinden konnte, in Echnaton nun mit Elan verfolgt. Echnaton ist für Glass der nächste Schritt gewesen. Das Werk ist viel reduzierter mit Blick auf die Motive. Diese bestehen teilweise aus vier Tönen oder auch nur aus wenigen Akkordwechseln. Die Motive prägen das ganze Stück und kommen in der Gesamtstruktur immer wieder vor. Bei Satyagraha waren es noch sehr viel unterschiedlichere Farben. Man merkt aber definitiv auch, dass Glass Echnaton als Abschluss der Trilogie angesehen hat, da sich auch musikalische Referenzen zu Einstein on the Beach und Satyagraha finden.

Wie geht Glass in diesem Stück mit der Gesangsstimme um?

Jonathan Stockhammer: In Echnaton hat Philip Glass meines Erachtens erkannt, dass die Stimme sehr gut instrumental funktioniert. Die Mischung aus Text, den man explizit verstehen soll und reiner Deklamation ist sehr interessant im Stück. Wenn der Text verstanden werden soll, wird entweder komplett gesprochen, oder er handhabt es wie in der Sonnen-Hymne, wo auf relativ konventionelle Weise gesungen wird und wo er auch bewusst auf die rhythmische Komplexität verzichtet, die ansonsten im Werk zu finden ist. An anderen Stellen wird die Stimme wiederum zu einer Art Schlaginstrument, wo vor allem der Rhythmus vermittelt werden soll. Man spricht und singt nicht natürlich, sondern in Rhythmen, welche die musikalischen Patterns unterstreichen. Das passiert zumeist dann, wenn Glass antike Sprachen benutzt, bei denen ohnehin nicht erwartet wird, dass diese beim ersten Hören verstanden werden können. Meistens wird ein Pattern mehrfach wiederholt und das auch nicht in einem Rhythmus, den man sprechen würde, sondern einem Rhythmus, der die Bewegung und die Atmosphäre der Szene unterstreicht.
Die stetigen Wiederholungen stellen auch für die Musizierenden eine große Herausforderung dar. Mit welchen Schwierigkeiten hat man im Probenprozess zu kämpfen und konntest Du hier von Deiner Arbeit in Satyagraha profitieren?

Jonathan Stockhammer: Grundsätzlich schätze ich die Herausforderung bei Echnaton etwas weniger problematisch ein als bei Satyagraha. Man sollte sich auf jeden Fall bewusst sein, dass das, was von Philip Glass auf der Bühne und besonders im Orchestergraben gefragt wird, keine normale und natürliche Leistung ist. Wenn man sich einzelne kurze Stellen anschaut, stellt man fest, dass die verlangte Technik nicht schwerer ist als Ligeti oder dergleichen. Das Problem ist aber, dass die Glass-Partitur im Gesamten zum Marathon wird. Bei Satyagraha bestand der Probenprozess teilweise darin, über Wochen zu sehen und zu trainieren, wie lange man bestimmte Strecken am Stück durchhalten konnte. Oft mussten wir innerhalb der Stimmgruppen im Orchester eine Art Staffellauf etablieren, weil es spieltechnisch durch die andauernde Belastung der Muskulatur nicht mehr ging. Glass hat jedoch von Satyagraha gelernt und sich bei Echnaton Lösungen für die körperlichen Anstrengungen der Musizierenden ausgedacht, aber auch die Notation insgesamt optimiert.

Bei Satyagraha waren die Wiederholungs-Muster teils vollkommen undurchsichtig und häufig komplizierter als eigentlich notwendig aufgeschrieben – das ist bei Echnaton deutlich besser geworden. Aber auch Echnaton bleibt eine Art Krafttraining und vor allem die Endproben werden zu einer intensiven körperlichen Vorbereitung auf ein echtes Rennen.

Philip Glass’ Echnaton wirkt für Außenstehende alles in allem möglicherweise auch etwas verkopft, sodass viele Menschen sich vielleicht auch einschüchtern lassen von dem historischen Stoff, den fremden Sprachen der ungewöhnlichen Erzählweise oder eben der Musik ...

Jonathan Stockhammer: Es handelt sich letztlich um ein Sujet, was zentral für die ganze Weltgeschichte ist. Mir selbst war die Beziehung des Judentums und Christentums zu diesem geschichtlichen Kapitel in Ägypten beispielsweise gar nicht bewusst. Das ist an sich schon faszinierend und man kann definitiv einiges lernen. Unsere Inszenierung profitiert aber natürlich ganz besonders auch von Barrie Kosky, dessen Umgang mit Menschen, mit Bildern, mit dem Epos visuell so stark ist, dass man sehr viel begreifen und stets mitschwingen kann, ohne sich damit zwingend intellektuell auseinandersetzen zu müssen. Es ist wie eine große Erfahrung, die man mit einer Rave Party, einem Meditationswochenende oder einem langen Berghainbesuch vergleichen könnte. Es finden sich Komponenten in diesem Werk, die durchaus auch reizvoll für ein Publikum sein können, das typischerweise nicht in die Oper geht.
März 2025
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Fr
28.
Mrz
19:00
Schillertheater – Großer Saal
April 2025
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Sa
5.
Apr
19:30
Schillertheater – Großer Saal
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Fr
11.
Apr
19:00
Schillertheater – Großer Saal

#KOBEchnaton

16. März 2025
John Holiday, der Countertenor, übernimmt mit wenigen Noten den Raum. Seine ruhige Präsenz und natürliche Eleganz lassen den von sich selbst berauschten Pharao am Ende als Sympathiefigur erscheinen.
Rüdiger Schaper, Der Tagesspiegel
»Echnaton« an der Komischen Oper: Triumph eines gottgleichen Tyrannen

#KOBEchnaton
16. März 2025
Jonathan Stockhammer leitet das Orchester des Hauses mit großer Ruhe und Präzision, die Musiker stellen nimmermüd einen farbigen und differenziert gewebten Teppich her – und das ist wörtlich im Sinne von Knüpfkunst zu verstehen und nicht als Fußabtreter, dem man keine Beachtung schenkt.

Nicht weniger erstaunlich der von David Cavelius einstudierte Chor, der zugleich in aufregendster Weise bewegt wird. Zusammen mit den schwindelerregenden Pantomimen der Tänzer ergeben sich motorische Muster auf der Bühne, die die Musik kongenial ergänzen. Mit John Holiday schließlich steht ein Echnaton der Superlative auf der Bühne: Stimmlich klar und unermüdlich präsent, bildet seine ruhige, konzentrierte Darstellung den Fokus der Bühne. Klanglich wird er aufs Wohlklingendste ergänzt von der Nofretete Susan Zarrabis und der Königin Teje von Sarah Brady... Ein großartiger, wunderbarer Abend zeitgenössischen Musiktheaters.
Peter Uehling, Berliner Zeitung
Minimal Music an der Komischen Oper: Philip Glass’ »Echnaton« feiert Premiere

#KOBEchnaton