Das Bühnenbild tanzen lassen

Jede Aufführung auf der Bühne der Komischen Oper Berlin ist ein Eintauchen in eine Erzählung und wunderbare Illusion. Erst die macht den Opernbesuch zu guter Unterhaltung und so zu einem Genuss. Dass dieser ‚Tauchgang‘ reibungslos läuft, liegt in den Händen von Inspizient:innen wie Axel Baer. Im Interview spricht er über seine Rolle auf Proben, wie viel Tanz in jeder Aufführung steckt und wie ihn das Publikum bei seiner Arbeit hinter der Bühne beeinflusst.
Sie haben gerade eine Vorstellung von Nils Holgerssons wundersamen Abenteuern als Inspizient geleitet. Wie haben Sie Ihre Arbeit vor der Vorstellung begonnen?

Axel Baer: Ich bin eine Art Knotenpunkt für die Kommunikation zwischen allen Abteilungen hinter Bühne. Bei mir laufen alle Fäden zwischen Bühnentechnik, Darsteller:innen und dem Orchester zusammen. Meistens bin ich deshalb schon anderthalb Stunden vor dem Beginn einer Vorstellung da, um mich gut vorbereiten zu können. Als erstes schalte ich dann das Inspizientenpult an, mein Arbeitsplatz rechts neben der Bühne. Ich lese mir das Protokoll der letzten Vorstellung durch, und schaue, ob ich etwas Wichtiges beachten muss. Aber ich werfe immer schon vorher, wenn ich durch die Tür die Bühne betrete, einen Blick auf die Kulisse: ist Nils Zimmer richtig eingerichtet, stehen die Burg und andere Kulissenteile an der richtigen Stelle für die späteren Umbauten. Und ich schaue auch, ob der Orchestergraben auf die richtige Höhe eingestellt ist. Dabei geht es auch um einen Blick für Sicherheit, vor allem, wenn neue Mitarbeiter*innen die Bühnentechnik bedienen, bespreche ich mit ihnen die Abläufe.
Inspizient Axel Baer am Inspizietenpult, vor ihm das Notenbuch mit Notizen der Kinderoper 'Nils Holgerssons wundersame Abenteuer'
Inspizient Axel Baer bei einer Aufführung der Kinderoper Nils Holgerssons wundersame Abenteuer
Bei Nils Holgersson wundersamen Abenteuern waren Sie aber auch schon beim Probenprozess dabei..

Axel Baer: Nils Holgersson habe ich schon von der ersten Probe an verfolgt. Mir ist wichtig, von Anfang an ein Gespür für das Bühnenbild und seine Verwandlungen zu bekommen. Bei Nils Holgersson gibt es gleich nach der ersten Szene einen rasanten Umbau. Sein Kinderzimmer wird plötzlich mit vielen Effekten zu einer riesigen Sitzbank, um seine Schrumpfung zu zeigen. Ursprünglich war geplant, dass Nils die Szene seiner Verkleinerung auf Wichtelgröße vor der Bank spielt. Aber das hat sich für mich nicht rund angefühlt, weil wir bei der ursprünglichen Idee die Bank, die dann plötzlich riesig ist, noch nach hinten hätte fahren müssen, mit sehr viel Requisiten darunter. Als wir das das erste Mal geprobt haben, habe ich die Zeit für den Umbau gestoppt. Und für diese Szene haben wir nur 25 Sekunden Zeit….

Zu wenig für den Umbau?

Axel Baer: Ja, da wären zwei, drei Handgriffe zu viel für einen flüssigen Ablauf gewesen. Ich habe dann vorgeschlagen, das Nils die Szene oben, in seinem Zimmer weiter spielt, das sich dann zur riesigen Bank verwandelt. Und so war es auch einfacher, die Requisiten der Szene von der Bühne zu tragen. Das war wie eine Puzzlearbeit, die wir gemeinsam mit der Bühnentechnik, der Regisseurin und den Darsteller:innen Stück für Stück zusammengesetzt, mit Licht und Nebel ergänzt haben. Das war eine schöne Gemeinschaftsarbeit, ein sehr produktiver Austausch…

Um damit eine schlüssige Illusion zum Eintauchen für das Publikum geschaffen?

Axel Baer: …vor allem eine für alle hinter und auf der Bühne sichere Illusion. Bei dieser Verwandlungsszene sind in sehr kurzer Zeit sehr viele Handgriffe mit vielen Bühnenmitarbeiter:innen nötig, von denen das Publikum nichts mitbekommen soll. Wenn ein solcher Szenenumbau bei jeder Aufführung allerdings zu viel Aufmerksamkeit fordert, weil sie zu kompliziert gestaltet ist, bereitet mir das vielleicht jedes Mal zu viel Kopfzerbrechen und stört möglicherweise den Fluss der Inszenierung. Deshalb fand ich den Austausch auf den Proben sehr schön, weil ich sehr viel Vertrauen in meine Arbeit, in meine Erfahrung erlebt habe und meine Lösungsvorschläge so offen angenommen wurden.
Inspizient Axel Baer am Inspizietenpult, vor ihm das Notenbuch mit Notizen der Kinderoper 'Nils Holgerssons wundersame Abenteuer'
Während des Probenprozesses entsteht auch Dein wichtigstes ‚Werkzeug‘: Ein Buch, eine Art Leitfaden für die gesamte Vorstellung..

Axel Baer: Das Buch basiert auf dem Klavierauszug des Stückes, so dass ich die Vorstellung Takt für Takt verfolgen kann. Darin sammle ich während der Proben alle wichtigen Auf- und Abgänge, Umbauten, alle Kommandos, die ich zur richtigen Zeit ausrufen muss, damit Techniker:innen und Darsteller:innen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Ganz wichtig sind auch die Ablaufzeiten für jede Szene. Am Ende ist es ein dickes Buch mit vielen Klebezetteln an den wichtigen Stellen, dass sich wie ein Puzzle aus den Proben ergeben hat und mir hilft, die Vorstellung taktgenau zu ‚fahren‘.
Nils Holgerssons wundersame Abenteuer ist als Kinderoper eine sehr lebendige und verspielte Inszenierung für Kinder. Wie sehr kannst Du Dich selbst von der Atmosphäre mitreißen lassen?

Axel Baer: Ich betreue sehr gern als Inspizient Kinderopern. Einerseits, weil selbst wie bei Nils Holgersson wundersamen Abenteuer viele Kinder auf der Bühne stehen und auch hinter der Bühne eine schöne Lebendigkeit mitbringen. Und andererseits, weil Kinder für mich das ehrlichste und kritischste Publikum sind, die ihre Freude und ihren Spaß an einer Aufführung sehr direkt ausdrücken. Davon lasse ich mich natürlich mitreißen, weil ich dafür arbeite, dass Kinder begeistert werden, gut unterhalten. Ein wenig kann ich davon selbst sehen: Die Kamera, die den Dirigenten zeigt, zeigt auch die Kinder in der ersten Reihen aus dem Saal. Zu sehen, wie sie der Handlung gespannt folgen, wie sie lachen oder erstaunt sind – das ist ein schönes Geschenk und eine Belohnung für uns Mitarbeiter:innen auf und hinter der Bühne. Besonders auf das Finale freue ich mich besonders, weil dann das Publikum klatschend mit einsteigt und diese Freude bis zum Ende des Schlussapplaus die Atmosphäre prägt.
Am rechten Bildrand Inspizient Axel Bär mit Blick auf die Hauptbühne vom Inpiszientenpult
Mit der aktuellen Spielzeit ist die Komische Oper Berlin gerade erst in das Schillertheater. Wie hat sich Ihre Arbeit im Vergleich zum Haus In der Behrenstraße verändert?

Axel Baer: Mein Arbeit an sich ist die gleiche. Nur die Technik hier im Schillertheater ist moderner, hier kann ich alle Züge für die Bühnenbilder und Vorhänge computergesteuert herunter- und herauffahren lassen. Das ist etwa für das aufwendige Bühnenbild des Musicals Chicago wunderbar, weil man die Vorhänge, die Lampen auf den Millimeter genau steuern kann. Andererseits liebe ich handgemachtes Theater. In der Behrenstraße wurden die Vorhänge und Bühnenelemente per Hand bedient, das macht jede Aufführung ein wenig lebendiger, vielleicht weil alle auf und hinter der Bühne direkter in das Gelingen einer Vorstellung involviert sind.

Bevor Sie als Inspizient an der Komischen Oper begonnen haben, waren Sie als Tänzer auf der Bühne zu sehen. Wie nah fühlen Sie sich als Inspizient dem Tanz?

Axel Baer: Ich habe ganz zu Anfang meiner Zeit als Inspizient gelernt, dass ich mit meiner Arbeit das Bühnenbild tanzen lassen kann. Das ist der Anspruch, den ich mir bei jeder Vorstellung stelle: Wie beim Tanz, versuche ich mit der Musik zu atmen, mich von Rhythmus leiten zu lassen. Das Bühnenbild ist deshalb für mich wie einen eigenen Körper, den ich zur Musik atmen und tanzen lasse.

Ist die Spannung hinter der Bühne die gleiche wie auf der Bühne, die sie als Tänzer erlebt haben?

Axel Baer: Die ist sogar noch ein wenig stärker, weil ich für den runden Ablauf der gesamten Vorstellung verantwortlich bin. Aber ich mag dieses Anspannung, dieses Adrenalin, die Konzentration, mit der ich in die Vorstellung involviert bin. Ich bringe als ehemaliger Tänzer auch ein Gespür für andere Darsteller:innen mit, für ihre Anspannung vor jedem Auftritt und kann sie dabei gut unterstützen und begleiten. Und auch das Körpergefühl ist nach dem Schlussapplaus das gleiche, wie ich es früher nach der Premiere eines Tanzstücks erlebt habe: eine Art erfüllende Erschöpfung.

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