Neue Chancen, neues Glück

Matthes macht's – so heißt das Neujahrskonzert, das der Schauspieler Ulrich Matthes für die Komische Oper Berlin kuratiert. Von Gershwins pulsierendem Klavierkonzert bis hin zu Arvo Pärts herausfordernder Stille: Matthes Konzertprogramm eröffnet das Neue Jahr mit großer Zuversicht, die Freude und Glück verspricht, Trost spendet und zu einem offenen Blick herausfordert. Ganz so, als würde der seriös-tragische Ernst Heinrich von Kleists auf den Hopsasa-Humor von Louis de Funès treffen. Ein Gespräch über Frühstücksrituale, Großstadtklänge und den Musikgeschmack von Herbert und Monika.
Wenn man den Namen Ulrich Matthes hört, hat man in erster Linie den Film und Theaterschauspieler vor Augen. Was für eine Rolle nimmt die klassische Musik in Ihrem Leben ein und wie haben Sie den Weg zur Klassik gefunden?


Ulrich Matthes: Ich bin von früh an ein musikalisches Kind gewesen und habe den Tag oft trällernd begonnen und ihn trällernd beschlossen. Sehr früh habe ich die Platten, die meine Eltern hörten, mitgesungen und mitgepfiffen. Wir waren wirklich eine musikalische Familie. Mein Geträller und mein Gepfeife wurde also auch von meinen Eltern unterstützt – manchmal eher hingenommen als unterstützt … Bei uns zuhause wurde allerdings weniger klassische Musik gehört, eher Jazz und Swing: Artie Shaw, Benny Goodman und so weiter. Meine Liebe zur Klassik habe ich mir mit 14, 15 im Grunde selbst beigebracht. Ich bin immer wieder in die Amerika-Gedenkbibliothek gegangen und habe mir Platten ausgeliehen und zuhause auf Kassetten aufgenommen. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich mit 18, 19 in der Philharmonie bei einem Konzert mit Karajan. Das hat mich unglaublich beeindruckt. Ich weiß noch, dass Mahler gespielt wurde, den ich damals zum ersten Mal hörte. Die Liebe zur klassischen Musik ist bis heute geblieben.

Das Neujahrskonzert mit Ulrich Matthes
Matthes macht's

Das Neujahrskonzert mit Ulrich Matthes

Programm

Wolfgang Amadeus Mozart [1756–1791]
Sinfonie Nr. 36 in C-Dur KV 425 »Linzer Sinfonie« (1. Satz)

George Gershwin [1898–1937]
Klavierkonzert in F-Dur

Arvo Pärt [*1935]
Sinfonie Nr. 4 »Los Angeles« (1. Satz)

Robert Schumann [1810–1856]
Sinfonie Nr. 2 in C-Dur op. 61 (3. Satz)

Leonard Bernstein [1918–1990]
Symphonic Dances aus West Side Story
Wie gehen Sie dieser Liebe in Ihrem Alltag nach?

Ulrich Matthes: Ich frühstücke immer ausgiebig und trinke morgens wahnsinnig viel Tee. In diesen manchmal anderthalb Stunden des Frühstücks höre ich oft klassische Musik. Manchmal aber auch explizit nicht, dann will ich meine Ruhe haben. Die Stille und das Klappern meiner Teetasse genügen mir dann als Geräuschkulisse. John Cage …


Wie sind Sie vorgegangen, als Ihnen die Aufgabe zuteilwurde, das Programm für ein Neujahrskonzert zu gestalten?

Ulrich Matthes: Als ich dieses Geschenk mit extragroßer roter Schleife von der Komischen Oper Berlin bekommen habe, mir aus den unendlichen Möglichkeiten klassischer Musik so einen Abend zusammenzustellen, habe ich mich natürlich irre gefreut! Ich nehme grundsätzlich jede Aufgabe, die mir übertragen wird oder die ich mir selbst übertrage, ernst. Insofern habe ich lange darüber nachgedacht, wie ich dieses Füllhorn an Möglichkeiten reduziere. Mein Programm habe ich im weitesten Sinne auch aus politischen Gründen gewählt, weil ich das Gefühl habe, dass wir alle von der Zeit, in der wir gerade leben, überfordert sind. Ich bin es auch. Von vielem. Auch davon, dass mittlerweile sehr viele Menschen im Bundestag sitzen, die Mitglieder einer rechtsextremen Partei sind. Das beschäftigt und bekümmert mich außerordentlich. Irgendwann ist mir – trotzdem oder gerade deshalb – das Wort »Zuversicht« eingefallen. Und dann habe ich explizit nach Musik gesucht, die für mich direkt im Zusammenhang mit diesem schönen Wort steht.
Porträt Schauspieler Ulrich Matthes
Neben dem Orchester der Komischen Oper Berlin, Generalmusikdirektor James Gaffigan und natürlich Ihnen selbst wartet der Abend auch noch mit einem Starsolisten auf, nämlich keinem geringeren als Kirill Gerstein, der Gershwins Klavierkonzert spielen wird …

Ulrich Matthes: Kirill Gerstein habe ich mehrfach schon live gehört, und ich finde ihn großartig. Er ist in seiner Vielseitigkeit ganz toll, er kann sowohl Klassik als auch Jazz. Und da ich ein wirklicher Jazzliebhaber bin, sollte unbedingt auch Gershwin – einer meiner absoluten Hausgötter – in das Programm mit hinein. Und das Klavierkonzert finde ich in seiner Vielfalt an Stimmungen absolut berückend. Dem etwas robusten Anfang mit den Pauken setzt etwas später das zarte Klavier etwas erwartungsvoll Leuchtendes entgegen, als wenn ein neuer Tag beginnt in einer Großstadt – neue Chancen, neues Glück. Es gibt Aufschwünge in diesem Klavierkonzert, da möchte ich die Arme schmeißen vor Glück und vor Freude. Das Neujahrskonzert soll auch unbedingt Freude machen!

Neben dieser Gershwin-Freude gibt es aber auch einen Programmpunkt, der musikalisch eher in Richtung Neue Musik weist: der erste Satz der 4. Sinfonie von Arvo Pärt. Warum hat es dieser Satz in das Programm geschafft?

Ulrich Matthes: Ich habe mir gedacht, eine kleine Herausforderung neben den Titeln, auf die sich viele Menschen verständigen können, möchte ich mitreinschummeln. Ich wollte etwas verstecken, bei dem sich die Leute möglicherweise fragen: »Was soll denn das jetzt?« Ich möchte, dass ein Herbert nach dem Konzert zu seiner Monika sagt: »Monika, also der Abend war ja eigentlich sehr schön, aber musste das da nach der Pause sein, dieses schummrige Ding?« Das ist im weitesten Sinne mein politischer Anspruch, denn zu der Überschrift »Zuversicht« gehört manchmal eben auch eine Herausforderung. Etwas, von dem man gedacht hat, muss es denn wirklich sein? Ja, es muss sein. Die Musik von Pärt in ihrer herausfordernden Stille und Konzentration ist etwas, was für mich dazugehört, um auf das Jahr 2026 vorzubereiten. Das gilt übrigens für alle Künste, nicht nur für die Musik. Auch im Theater finde ich es wichtig, sich offenen Herzens auf eine Aufführung einzulassen, von der man vielleicht zu Beginn denkt: »Was wollen die mir denn da sagen?«

Neben der überbordenden Freude bei Gershwin oder der Stille bei Pärt gibt es auch noch einen Adagio-Satz aus Schumanns 2. Sinfonie zu hören. Wie lässt sich dieser Satz mit dem Motto »Zuversicht« vereinen?

Ulrich Matthes: Ein Teil von Zuversicht besteht auch darin, Menschen Trost zuzusprechen. Ganz einfach. Und dieser zweite Satz ist für mich besonders trostreich.
Es ist bereits Ihre zweite Zusammenarbeit mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin. Überhaupt sind Sie regelmäßiger und gern gesehener Gast bei uns. Was macht für Sie den Reiz dieses Opernhauses aus?

Ulrich Matthes: Ich finde die Trennung von E- und U-Musik total doof. Auch ich selbst habe eine seriöse ernsthafte Seite und eine Hopsasa-Seite. Es schließt sich für mich nicht aus, die Dramen von Kleist zu verehren, aber auch Louis de Funès lustig zu finden. Das mag für manche ein Widerspruch sein, für mich ist es das nicht. Und die Komische Oper Berlin steht exemplarisch für die Verbindung von beidem. Gerade Barrie Kosky hat sich während seiner Intendanz dankenswerterweise sehr darum bemüht, die manchen als etwas halbseiden geltende Operette in den Mittelpunkt von Spielplänen zu stellen und nebenbei natürlich weiterhin auch die ernsten Opern zu spielen. Das schließt sich nicht aus, im Gegenteil: Jewgeni Onegin und am nächsten Abend Die Perlen der Cleopatra. Ich bin auch überzeugt, dass sich Gershwin und Mozart gegenseitig ihre Melodien vorgesungen und super verstanden hätten, weil sie beide große Melodiker waren. Diese Verbindung aus E und U war mir auch für unser Konzert wichtig. Wir haben nach der Pause die beiden stillen Sätze von Pärt und Schumann, und dann geht’s los mit den »Sharks« und den »Jets«, den beiden Gangs in den Straßen von New York. That’s Life!

Das klingt in jedem Fall nach einem spannenden Start ins neue Jahr. Zum Abschluss noch die obligatorische Frage: Haben Sie irgendwelche Vorsätze für 2026?


Ulrich Matthes: Da ich nicht rauche, muss ich mir das Rauchen auch nicht abgewöhnen. Alles andere lass’ ich auf mich zukommen …

Januar 2026

https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Do
1.
Jan
18:00
Sinfoniekonzert
Schillertheater – Großer Saal

#KOBSiKo