© Jaro Suffner
Bewegliche Bühnenwelt als wundersame Weltbühne
von Alexander Meier-Dörzenbach
In William Hogarths erster freier Arbeit hat er zugleich die erste satirische Darstellung des Theaters in England überhaupt geschaffen: Im Jahre 1724 ist das Blatt entstanden, auf dem man erkennt, wie die Menge geführt vom Teufel und Narr zu Maskeraden und italienische Opern gelockt oder in pantomimische Spektakel gesogen werden. Die klassischen Werke hingegen sind nur noch Altpapier und werden en masse per Schubkarre entsorgt, während die Kunstakademie im Hintergrund ihr Tor gar nicht mehr öffnet. Das höfische Publikum auf der rechten Seite – durch Perücken, Degen und Ordensband als solches erkennbar – wird durch das Plakat »D. Faustus is here« angelockt. Tatsächlich bezieht sich das Schaubild auf zwei Pantomimen, die ein paar Jahre vor The Beggar’s Opera Zugpferde im Lincoln’s-Inn Fields Theatre waren. Die wortvirtuose Umsetzung des Stoffes durch den Renaissance-Dichter Christopher Marlowe weicht im Jahre 1723, als die Pantomimen Necromancer or Harlequin Doctor Faustus von John Rich und Harlequin Doctor Faustus von John Thrumond Vanitas-Motive effektreich zum Bühnenzauber stilisieren. Die Pantomime ist eine volksopernartige Unterhaltung, die mit tänzelnder Komik und zahlreichen Spezialeffekten für Aufsehen sorgte und die Person des Harlekin, der hier »Lun« von »lunatic« (Verrückter) heißt, integrierte. Auf dem Blatt lockt dieser über dem Eingangstor vor dem Plakat die Menge in das Spektakel, das sich stark vom Drama Marlowes von 1589 unterscheidet. Mit seinem The Tragical History of Doctor Faustus hatte dieser ein Drama vorgelegt, in dem zum ersten Male Fausts Wesen durch seinen Bildungsdurst gekennzeichnet wird und der Figur so auch positive Aspekte abgerungen werden. Damit wird Faust zu einem ambivalenten Charakter, dessen ungestillte Sehnsucht nach Wissen sich in der Magie des Teufels verfängt. In den Pantomimen hingegen stehen burleske Szenen im Vordergrund: Die Episode von Faust, der mit der Frau eines Müllers schläft, während dieser sich in den Flügeln seiner Mühle verheddert und fortgeschleudert wird, ist ikonografisch in der Mühle auf dem Werbebild festgehalten, so wie der Drachen das Ende des Doktors ankündigt, da dieser in den Pantomimen von einem monströsen Biest effektvoll verschlungen wird. Das Theater auf der linken Seite bietet seinem bunten Publikum Maskeraden, Puppenspiel und die italienische Oper Händels. Das Schriftschild weist auf den Magier und Puppenspieler Isaak Fawks hin, dessen Fingerfertigkeit im Long Room der Queen Ann’s Tavern in Southwark angepriesen wird. Daneben hängt ein riesiges Schautuch, das den Höhepunkt der italienischen Oper in den 1720er Jahren karikiert: Man sieht drei Adlige auf Knien, die bittend 8.000 Pfund vor den Sängern ausschütten. Die Darsteller sind als Francesca Cuzzoni und die Kastraten Francesco Bernardi, genannt Senesino, und Gaetano Berenstadt identifiziert – die Cuzzoni hakt mit einem Rechen das Geld zu sich heran.
© Jaro Suffner
Hogarth zitiert sich hier selbst, da er im Jahr zuvor eine Karikatur mit den drei Künstlern (ohne Adlige, dafür mit einem Schleppenträger) anfertigte und sich über die kleine Cuzzoni, den großen Körper und winzigen Kopf von Senesino und den exaltierten Federschmuck von Berenstadt lustig macht. Es bleibt umstritten, ob es sich hier um eine bestimmte Oper oder vielmehr ein Figurenpasticcio handelt – mehr noch, es ist oft zu lesen, dass sich die Werke ja kaum auseinanderhalten lassen und als einendes Element eine exaltiert opulente Ausstattung für ihre Sängerstars bereithalten.
Die links aus dem Fenster blickende Figur, die aus juristischer Vorsicht nur mit »H.« gekennzeichnet ist, stellt den Schweizer Grafen John James Heidegger dar und weist so auf den ausländischen Einfluss des Londoner Gesellschaftsgeschmacks hin. Heidegger war ein erfolgreicher Impresario von Maskeraden und sogar mehrere Jahre auch organisatorischer Leiter von Händels Royal Academy of Music. Händels Oper Xerxes entstand ebenso wie der zuvor komponierte Faramondo im Auftrag von Heidegger für das King’s Theatre. Ein satyrischer Teufel und ein Narr locken und ziehen die bunt kostümierte Menge in das Haus, aus dem Heidegger blickt – unter ihnen auch ein Bischof, der mit einem Mädchen anbändelt. Die beiden Verführer halten vor sich einen Beutel mit 1.000 Pfund hoch, die Summe, mit der der Prinz von Wales tatsächlich die Maskeraden zu dieser Zeit unterstützt hat. Mittig im Zentrum des Bildes sieht man eine Frau, die eine große Schubkarre mit Büchern fortschafft: Dryden, Ben Johnson, Otway, Shakespeare und Congreve; Klassiker ebenso wie Restaurationsdramatiker werden nun als Altpapier entsorgt. »Waste paper for Shops« ist auf dem Spruchband zu lesen. Die Bücher und ihre Geschichten sind nur noch das Material wert, auf dem sie gedruckt worden sind. Die Theatertore rechts und links sind weit geöffnet und saugen Adel und höheres Bürgertum durch ihren schlechten Geschmack hinein, während die Kunstakademie, die im hypertrophen Stil des Burlington Gate gestaltet ist, verschlossen bleibt. Richard Boyle, dritter Earl von Burlington – durchaus ein Gönner von Händel und Bononcini –, hatte sich gerade in Piccadilly sein Haus in einen pseudoitalienischen Palazzo im palladianischen Stil umgestalten lassen. Während sich die Statuen von Michelangelo und Raphael mit den Winkelecken des Dreieckgiebels begnügen müssen, thront die Figur des Architekten des Hauses, William Kent, in hybrider Selbstüberschätzung über allen. Hogarths satirischer Stich war gleich mit Erscheinen überaus erfolgreich und spielte sich bildlich in die textuelle Kritik, die gegen Heidegger und Maskeraden zeitgleich in Pamphleten publiziert wurde; schon wenige Tage nach der Publikation hat er sich über Raubdrucke beklagt. Die barocke Oper Händels reiht sich in der Wahrnehmung ab 1724 zu anderen publikumswirksamen Vergnügungen ein und scheint an diesem Zeitpunkt bereits überreif zu sein. Seine Oper Xerxes kann nun aber auch als Versuch gelesen werden, die kritischen und komischen Elemente in das Hohe zu integrieren, ebenso wie Hogarth in künstlerischer Meisterschaft satirischer Überzeichnung kunstvoll Raum gewährt.
Die links aus dem Fenster blickende Figur, die aus juristischer Vorsicht nur mit »H.« gekennzeichnet ist, stellt den Schweizer Grafen John James Heidegger dar und weist so auf den ausländischen Einfluss des Londoner Gesellschaftsgeschmacks hin. Heidegger war ein erfolgreicher Impresario von Maskeraden und sogar mehrere Jahre auch organisatorischer Leiter von Händels Royal Academy of Music. Händels Oper Xerxes entstand ebenso wie der zuvor komponierte Faramondo im Auftrag von Heidegger für das King’s Theatre. Ein satyrischer Teufel und ein Narr locken und ziehen die bunt kostümierte Menge in das Haus, aus dem Heidegger blickt – unter ihnen auch ein Bischof, der mit einem Mädchen anbändelt. Die beiden Verführer halten vor sich einen Beutel mit 1.000 Pfund hoch, die Summe, mit der der Prinz von Wales tatsächlich die Maskeraden zu dieser Zeit unterstützt hat. Mittig im Zentrum des Bildes sieht man eine Frau, die eine große Schubkarre mit Büchern fortschafft: Dryden, Ben Johnson, Otway, Shakespeare und Congreve; Klassiker ebenso wie Restaurationsdramatiker werden nun als Altpapier entsorgt. »Waste paper for Shops« ist auf dem Spruchband zu lesen. Die Bücher und ihre Geschichten sind nur noch das Material wert, auf dem sie gedruckt worden sind. Die Theatertore rechts und links sind weit geöffnet und saugen Adel und höheres Bürgertum durch ihren schlechten Geschmack hinein, während die Kunstakademie, die im hypertrophen Stil des Burlington Gate gestaltet ist, verschlossen bleibt. Richard Boyle, dritter Earl von Burlington – durchaus ein Gönner von Händel und Bononcini –, hatte sich gerade in Piccadilly sein Haus in einen pseudoitalienischen Palazzo im palladianischen Stil umgestalten lassen. Während sich die Statuen von Michelangelo und Raphael mit den Winkelecken des Dreieckgiebels begnügen müssen, thront die Figur des Architekten des Hauses, William Kent, in hybrider Selbstüberschätzung über allen. Hogarths satirischer Stich war gleich mit Erscheinen überaus erfolgreich und spielte sich bildlich in die textuelle Kritik, die gegen Heidegger und Maskeraden zeitgleich in Pamphleten publiziert wurde; schon wenige Tage nach der Publikation hat er sich über Raubdrucke beklagt. Die barocke Oper Händels reiht sich in der Wahrnehmung ab 1724 zu anderen publikumswirksamen Vergnügungen ein und scheint an diesem Zeitpunkt bereits überreif zu sein. Seine Oper Xerxes kann nun aber auch als Versuch gelesen werden, die kritischen und komischen Elemente in das Hohe zu integrieren, ebenso wie Hogarth in künstlerischer Meisterschaft satirischer Überzeichnung kunstvoll Raum gewährt.
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