© Jan Windszus Photography
West Coast Blues in Ostberlin
Ein musikalischer Ausflug ins kapitalistische Ausland
Eine Einführung von Sphie Jira
Eine Einführung von Sphie Jira
Volltreffer! Am 17. November 1956, dem Tag der Uraufführung seiner Operette Wer braucht Geld?, liest der Textdichter Otto Schneidereit in der Zeitung von einem großangelegten Streik amerikanischer Hafenarbeiter: An der US-Atlantikküste fordern 60 000 Docker höhere Löhne, und auch in den Häfen der Westküste legen zahlreiche ihrer Kollegen solidarisch die Arbeit nieder. Für Schneidereit beweist die Meldung: Der Stoff ist heiß! Eine Solidaritätsaktion unter Hafenarbeitern – genau das ist das Sujet seiner Operette, die sechs Jahre später bearbeitet und unter dem neuen Titel In Frisco ist der Teufel los zum Dauerbrenner auf den Bühnen der DDR aufsteigen wird. Der Librettist kann sich auf die Schulter klopfen, denn nichts anderes war sein Anspruch, als eine »Gegenwartsoperette« zu schreiben.
In Frisco ist der Teufel los
Operette in vier Akten [1962]
Libretto von Otto Schneidereit
Libretto-Neufassung von Maurycy Janowski
Das Theater gehört der Arbeiterklasse
Bereits seit 1955 wirkt der Operettenspezialist Otto Schneidereit als Chefdramaturg an jenem Haus, das beide Fassungen seines Stücks uraufführen wird, dem Metropol-Theater in Ostberlin. In einer Sammlung von Unterlagen zu Wer braucht Geld? liefert Schneidereit 1958 nachträglich den ideologischen Unterbau seines Werks: Das erklärte Ziel, einen »neuen Typ der Operette zu schaffen«, sollte in Wer braucht Geld? nicht etwa durch die Form oder die von Guido Masanetz komponierte Musik erreicht werden, sondern durch das Thema: Klassenkampf.
Die oft neubefragte – und spätestens seit 1900 noch öfter totgesagte – Gattung Operette dürfe, so Schneidereit, auch im sozialistischen Staat nicht aus der gesellschaftlichen Entwicklung ausgenommen werden, denn: »Es ist völlig unglaubhaft, dass der Kampf der arbeitenden Menschen sich in allen Sektoren der Kunst spiegeln dürfe und müsse, nur ausgerechnet in der Operette nicht«. Den Klassenkampf, das »gewichtigste aller Themen«, nicht in die Operette aufzunehmen, würde gar bedeuten, sie – wieder einmal – zum Tode zu verurteilen. Den neuen Anspruch an das Genre verkündet die Dramaturgie des Metropol-Theaters, alias Otto Schneidereit, 1958 unter der Prämisse: »In der Deutschen Demokratischen Republik gehört das Theater der Arbeiterklasse.« Ganz nach dem Vorbild Jacques Offenbachs müsse also auch die DDR-Operette »Typen unserer Zeit in den Mittelpunkt« stellen.
Die oft neubefragte – und spätestens seit 1900 noch öfter totgesagte – Gattung Operette dürfe, so Schneidereit, auch im sozialistischen Staat nicht aus der gesellschaftlichen Entwicklung ausgenommen werden, denn: »Es ist völlig unglaubhaft, dass der Kampf der arbeitenden Menschen sich in allen Sektoren der Kunst spiegeln dürfe und müsse, nur ausgerechnet in der Operette nicht«. Den Klassenkampf, das »gewichtigste aller Themen«, nicht in die Operette aufzunehmen, würde gar bedeuten, sie – wieder einmal – zum Tode zu verurteilen. Den neuen Anspruch an das Genre verkündet die Dramaturgie des Metropol-Theaters, alias Otto Schneidereit, 1958 unter der Prämisse: »In der Deutschen Demokratischen Republik gehört das Theater der Arbeiterklasse.« Ganz nach dem Vorbild Jacques Offenbachs müsse also auch die DDR-Operette »Typen unserer Zeit in den Mittelpunkt« stellen.
© Frans Haacken
Stiftung Stadtmuseum Berlin, Reproduktion: Metropol-Theater Berlin (Hrsg), Frans Haacken (Entwurf) Programmheft: Otto Schneidereit, Wer braucht Geld?, Musik: Guido Masanetz, Berlin 1956
Schnell fand sich für das Projekt, der bourgeoisen »Goldenen« und »Silbernen« Operette einerseits und dem amerikanischen Musical andererseits etwas entgegenzusetzen, der Begriff »Heiteres Musiktheater«. Bereits Anfang der 1950er Jahre verbreitete vor allem der VEB Liedverlag Musik der Zeit die neue Gattungsbezeichnung. Zu dieser Zeit verfügte die DDR über die höchste Dichte an Musiktheatern in ganz Europa. Auch aufgrund der unerschwinglichen Tantiemen für Musical-Westimporte war der Bedarf an Unterhaltungsstücken von DDR-Autoren hoch und Uraufführungen im Bereich Operette und Musical wurden gezielt gefördert. Zwischen 1949 und 1989 entstanden so über 200 Werke des »Heiteren Musiktheaters«, die bei Henschel Musik oder Musik der Zeit erschienen und nie in den Westen gelangten. Doch nur eine Handvoll Titel von Komponisten wie Gerd Natschinksi, Guido Masanetz, Conny Odd und Gerhard Kneifel schaffte es in den Kanon, der durch alle Theater der DDR rochierte. Zu einem der meistgespielten Erfolgsstücke wurde 1962 Masanetz’ In Frisco ist der Teufel los, das von Stralsund bis Annaberg und von Eisenach bis Görlitz an so gut wie jedem Musiktheater der DDR lief. Bereits 1974 gab der Henschelverlag 70 Inszenierungen von Frisco an, darunter auch Aufführungen in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks wie der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Polen.
Guido Masanetz, geboren 1914 im schlesischen Friedek, zählte zu den produktivsten Komponisten des »Heiteren Musiktheaters« der DDR. Zunächst noch auf dem Weg zum Konzertpianisten, nahm er bald ein Kompositionsstudium in Pilsen auf und debütierte 1941 am Theater Brünn mit Barbara als Operettenkomponist. Von 1951 bis 1956 leitete Masanetz das Staatliche Volkskunstensemble der DDR, für das er eine Reihe von Tanzspielen und Volksliedbearbeitungen schuf. Ab 1954 lebte er als freischaffender Komponist in Ostberlin. Für die Bühne entstanden in dieser Zeit unter anderem Eine unmögliche Frau (1954), Eva und ihr Moralist (1958), Mein schöner Benjamino (1963) und Vasantasena (1978). Seit der Uraufführung von Wer braucht Geld? war Guido Masanetz auch vielfach als Gastdirigent seiner eigenen Werke am Metropol-Theater tätig.
Guido Masanetz, geboren 1914 im schlesischen Friedek, zählte zu den produktivsten Komponisten des »Heiteren Musiktheaters« der DDR. Zunächst noch auf dem Weg zum Konzertpianisten, nahm er bald ein Kompositionsstudium in Pilsen auf und debütierte 1941 am Theater Brünn mit Barbara als Operettenkomponist. Von 1951 bis 1956 leitete Masanetz das Staatliche Volkskunstensemble der DDR, für das er eine Reihe von Tanzspielen und Volksliedbearbeitungen schuf. Ab 1954 lebte er als freischaffender Komponist in Ostberlin. Für die Bühne entstanden in dieser Zeit unter anderem Eine unmögliche Frau (1954), Eva und ihr Moralist (1958), Mein schöner Benjamino (1963) und Vasantasena (1978). Seit der Uraufführung von Wer braucht Geld? war Guido Masanetz auch vielfach als Gastdirigent seiner eigenen Werke am Metropol-Theater tätig.
Wer braucht Geld?
Wer hat schon Geldsorgen in der DDR? Dass die beliebtesten Grundkonflikte in Operetten, wie Klassenunterschiede und nichtstandesgemäße Liebe, im Sozialismus offiziell abgeschafft sind, wirft die Frage nach passenden Themen des »Heiteren Musiktheaters« auf. Für Sujets aus dem sozialistischen Alltag, wie sie Gerd Natschinski in Messeschlager Gisela oder Conny Odd in Irene und die Kapitäne vertonten, entschieden sich tatsächlich nur die wenigsten Autoren. Stattdessen reichten die Sujets des »Heiteren Musiktheaters« von der Antike bis in die Gegenwart, bedienten sich bei Boccaccio bis Oscar Wilde und boten den Komponisten oft willkommene Gelegenheit für musikalische Ausflüge ins »exotische« – oder sogar kapitalistische – Ausland.
Golden Gate Bridge, San Francisco, 1960
Eine besondere Leidenschaft für musikalische Folklore hegte auch Guido Masanetz: »Ich schätze und achte nationale Musik und bin der Meinung, dass jeder Komponist einer Operette sich bemühen sollte, deren Schauplatz so wahrhaftig wie möglich zu schildern«. Fernöstlichen Stoffen wie in Der Wundervogel (nach einer chinesischen Legende) oder Vasantasena, der Liebesgeschichte einer indischen Bajadere, widmete er sich ebenso wie fernwestlichen Sujets: Vor und während seiner Arbeit an Wer braucht Geld? befasste sich Masanetz laut eigener Aussage intensiv mit der »Volksmusik Nordamerikas« und der »mexikanischen Folklore«. Er griff unter anderem lateinamerikanische Tanzelemente wie das rhythmische Stampfen des Zapateado auf und galt so dank Frisco, und spätestens seit Sprengstoff für Santa Inés (1973), in der DDR-Presse als Experte für lateinamerikanische Folklore. Masanetz betonte dabei, Musikstile nicht einfach kopieren zu wollen, sondern »eigenschöpferisch, unserer Mentalität entsprechend zu interpretieren«. Dies galt insbesondere für seine Partitur zu Wer braucht Geld?, die von musikalischen Amerikanismen wie Blues, Rock und Charleston durchdrungen ist. Einen »Schuss Gershwin« unterstellt die Berliner Zeitung Masanetz’ Musik daher zur Uraufführung von In Frisco ist der Teufel los.
Keep Smiling
Als Wer braucht Geld? 1956 uraufgeführt wurde (und die Hafenarbeiter Amerikas streikten), war von der Berliner Mauer noch keine Spur – zur Uraufführung der Neufassung 1962 aber stand sie schon. Parallel zum Mauerbau hatte Masanetz seine Operette gemeinsam mit dem Dramaturgen und Bühnenautor Maurycy Janowski textlich umgearbeitet und neue musikalische Szenen eingefügt, die In Frisco ist der Teufel los den sofortigen Durchbruch bescherten. Trotz oder wegen der musikalischen Amerikanismen? Trotz oder wegen des amerikanischen Sujets?
Für ein Werk des »Heiteren Musiktheaters« der DDR, das sich eigentlich explizit von der »kapitalistischen Verblödungsindustrie« abzugrenzen suchte, wählte Otto Schneidereit mit der Golden Gate Bridge eine verblüffend amerikanische Kulisse. Von Zeitungsartikeln über Whiskeyschmuggel und Polizeikorruption in den USA ließ er sich zu einer Geschichte von der Kehrseite des American way of life inspirieren und arbeitete sich in Frisco – nicht ohne Nostalgie – an einem Land ab, in dem die ehrlichen Arbeiter von ehrlosen Geschäftemachern verdrängt worden seien. An einem Land, so Schneidereit, in dem Künstler nicht Talente, sondern Manager haben müssen. »Dieses Land, das sich für das glücklichste erklärt, muss sogar für das Lächeln Reklame machen: Keep smiling: denn dein Lächeln kann dir Dollars bringen!«
Für ein Werk des »Heiteren Musiktheaters« der DDR, das sich eigentlich explizit von der »kapitalistischen Verblödungsindustrie« abzugrenzen suchte, wählte Otto Schneidereit mit der Golden Gate Bridge eine verblüffend amerikanische Kulisse. Von Zeitungsartikeln über Whiskeyschmuggel und Polizeikorruption in den USA ließ er sich zu einer Geschichte von der Kehrseite des American way of life inspirieren und arbeitete sich in Frisco – nicht ohne Nostalgie – an einem Land ab, in dem die ehrlichen Arbeiter von ehrlosen Geschäftemachern verdrängt worden seien. An einem Land, so Schneidereit, in dem Künstler nicht Talente, sondern Manager haben müssen. »Dieses Land, das sich für das glücklichste erklärt, muss sogar für das Lächeln Reklame machen: Keep smiling: denn dein Lächeln kann dir Dollars bringen!«
© Franz Hofmann
Programmheft In Frisco ist der Teufel los, Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen, 1964/65, grafsche Gestaltung: Franz Hofmann.
Den arbeits- und obdachlosen Seemann Jonas, genannt Klabautermann, erklärt Schneidereit zum »Ahasver der kapitalistischen Gesellschaft«, zum Schiff ohne Hafen, zum Totalverlierer und Opfer einer Macht, die wiederum in der aufregend amoralischen Xonga Miller Gestalt angenommen hat. Die mexikanisch angehauchte Magnatin, deren Machtzentrum das heißeste Nachtlokal Friscos ist, vereint das Immobilienschlucken mit dem Männerverschlingen, und scheint damit selbst den Autor in Verlegenheit zu bringen. Schneidereit gesteht Xonga zweifellos »Format im Verbrecherischen« zu und hält als Anforderung für die Darsteller:innen der Rolle fest: »Xonga kann jung oder alt, dünn oder fett sein – eines aber muss sie sein: faszinierend! Je außergewöhnlicher sie ist, desto größer ist Browns Sieg über sie.«
Dezember 2025
Di
23.
Dez
19:30
Zusatzvorstellung
Schillertheater – Großer Saal
Vorstellungsänderung aufgrund der krankheitsbedingt abgesagten Vorstellung Eine Frau, die weiß, was sie will!
Kartenkäufer:innen wurden bereits informiert oder melden sich bei unserem Kartenservice.
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