© Jan Windszus Photography
»Nur tötet jeder, was er liebt«
Berlin 1902, Oscar Wilde und der ausgebliebene Skandal: Drei Perspektiven auf Salome
von Wolfgang Behrens
von Wolfgang Behrens
I. Heimspiel Salome
Nur 350 Meter entfernt vom Stammhaus der Komischen Oper Berlin, das damals noch Metropol-Theater hieß, ereignete sich am 15. November 1902 Großes. Ein Jahr zuvor hatte die Kabarettgruppe »Schall und Rauch« ein neues Domizil bezogen, einen leerstehenden Saal im ehemaligen Hotel Imperial an der Ecke Unter den Linden / Friedrichstraße. Die Truppe, die sich aus einigen abtrünnigen Schauspielern des Deutschen Theaters um Max Reinhardt herum gebildet hatte, nannte ihre neue Heimstatt Kleines Theater und begann, neben Parodien und kleinen literarischen Revuen auch ernsthafte Stücke, vor allem Einakter, auf die Bühne zu bringen. An jenem Novembersamstag hatte man sich etwas Besonderes vorgenommen: Gleich zwei Werke von Oscar Wilde sollten zur Berliner Erstaufführung gelangen, und dem einen davon eilte auch noch ein höchst anstößiger Ruf voraus. Denn neben der Komödie Bunbury kam auch Wildes Einakter Salome auf die Bühne – und der war in Preußen, anders übrigens als in anderen Teilen des Deutschen Reichs, von der Zensur verboten (1903 sollte dieses Verbot aufgehoben werden). Zu grässlich schien den Geschmackshütern wohl das, was Wildes Stück so alles aufbot: inzestuöse Beziehungen, einen dekadent-lüsternen Herrscher und ein abgeschlagenes Prophetenhaupt, das mit Küssen bedeckt wird. Um sich trotzdem an die Inszenierung der Salome heranwagen zu können, musste sich das Ensemble um Max Reinhardt eines Tricks bedienen: Die Aufführung wurde als eine Privatveranstaltung getarnt (was allerdings niemanden daran hinderte, öffentlich über sie zu berichten).
Salome
Musikdrama in einem Aufzug [1905]
Libretto vom Komponisten
nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung in deutscher Übersetzung von Hedwig Lachmann
Premiere am 22. November 2025
Das Dargebotene verfehlte seine Wirkung auf das Publikum nicht. Alfred Kerr, der in Berlin den Rang eines Kritikerpapstes einnahm, berichtete in der Zeitung Der Tag:
»Salome hat eine starke Erschütterung … mehr der Nerven als der Seelen erzeugt. Aber wo liegt die Grenze? (…) Und als die Schüssel dastand, plötzlich aus dem Dunkel des Kellerlochs emporgehoben; als der blutende Stumpf des Halses sichtbar war und die dunklen Haare und das wächserne Antlitz; als Salome die Schüssel mit dem Haupte nahm und an ihren Schoß drängte und sich zuletzt krümmte zu einem Kuss auf die toten Lippen: da, Leser, fand ich nichts von der niederen, komischen Welt des Panoptikums, sondern eben das, was hier sein sollte: den abgeschlagenen Kopf Johannis des Täufers auf einer Schüssel, ich fuhr zusammen (…). Alles in allem: es war ein Stück Kunst.«
Mit drastischen Bildern wurde an dem Abend offensichtlich nicht gespart, der Körper der Hauptdarstellerin Gertrud Eysoldt, die gerade auf dem Weg war, ein Superstar zu werden, wurde offensiv präsentiert, mit nackten Füßen und von Tüchern eng umschlungen, und die anrüchige Fama des Stücks wurde durch das schockierende Heranziehen des blutigen Kopfes zum Schoß der Eysoldt hin auf die Spitze getrieben. Man kann sich vorstellen, dass das Publikum am Ende der Vorstellung – sagen wir: Gesprächsbedarf hatte.
»Salome hat eine starke Erschütterung … mehr der Nerven als der Seelen erzeugt. Aber wo liegt die Grenze? (…) Und als die Schüssel dastand, plötzlich aus dem Dunkel des Kellerlochs emporgehoben; als der blutende Stumpf des Halses sichtbar war und die dunklen Haare und das wächserne Antlitz; als Salome die Schüssel mit dem Haupte nahm und an ihren Schoß drängte und sich zuletzt krümmte zu einem Kuss auf die toten Lippen: da, Leser, fand ich nichts von der niederen, komischen Welt des Panoptikums, sondern eben das, was hier sein sollte: den abgeschlagenen Kopf Johannis des Täufers auf einer Schüssel, ich fuhr zusammen (…). Alles in allem: es war ein Stück Kunst.«
Mit drastischen Bildern wurde an dem Abend offensichtlich nicht gespart, der Körper der Hauptdarstellerin Gertrud Eysoldt, die gerade auf dem Weg war, ein Superstar zu werden, wurde offensiv präsentiert, mit nackten Füßen und von Tüchern eng umschlungen, und die anrüchige Fama des Stücks wurde durch das schockierende Heranziehen des blutigen Kopfes zum Schoß der Eysoldt hin auf die Spitze getrieben. Man kann sich vorstellen, dass das Publikum am Ende der Vorstellung – sagen wir: Gesprächsbedarf hatte.
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Zumal die Zuschauerschaft erlesen war: Der Dichter Stefan George war mit seinem ihn anhimmelnden Kreis aus Schülern und Jüngern gekommen, die Maler Walter Leistikow und Lovis Corinth gaben sich die Ehre, der Pianist und Komponist Eugen d’Albert fand ebenso seinen Weg ins Kleine Theater wie sogar der Hofoperndirektor Richard Strauss höchstpersönlich. Letzterer dürfte hier einen so bedeutenden Eindruck empfangen haben, dass sich sein Plan, Oscar Wildes Einakter zu vertonen, an diesem Abend gebildet oder zumindest sehr verfestigt haben könnte. Später erinnerte er sich anekdotisch (und Anekdoten ist eigentlich fast immer zu misstrauen):
»Ich war in Berlin in Max Reinhardts ›Kleinem Theater‹, um Gertrud Eysoldt in Wildes Salome zu sehen. Nach der Vorstellung traf ich [den Cellisten] Heinrich Grünfeld, der mir sagte: ›Strauss, das wäre doch ein Opernstoff für Sie.‹ Ich konnte erwidern: ›Bin bereits beim Komponieren‹.«
Strauss wird da wohl ein wenig geflunkert haben. Tatsächlich hatte ihm zwar der Lyriker Anton Lindner bereits im Jahr 1900 proaktiv angeboten, aus Wildes Drama ein Opernlibretto zu formen – und Strauss hatte auch Interesse gezeigt. Bis zu einer konkreten Zusammenarbeit ist dieses frühe Projekt freilich nicht gediehen, und auf Grund der Skizzenbücher darf davon ausgegangen werden, dass Strauss nicht vor 1903 mit der Komposition begann. An jenem 15. November 1902 war er somit noch nicht »beim Komponieren«, stattdessen wird er sich wohl am Abend eine Droschke nach Charlottenburg genommen haben, wo der Berliner Hofoperndirektor in der Knesebeckstraße 34 sein Zuhause gefunden hatte – also nur einen Kilometer vom Standort des heutigen Schillertheaters entfernt. Hier in der Knesebeckstraße dürfte er dann im Folgejahr auch die Arbeit an Salome aufgenommen haben. Salome in der Komischen Oper Berlin @Schillertheater – das fühlt sich also irgendwie wie ein Heimspiel an.
»Ich war in Berlin in Max Reinhardts ›Kleinem Theater‹, um Gertrud Eysoldt in Wildes Salome zu sehen. Nach der Vorstellung traf ich [den Cellisten] Heinrich Grünfeld, der mir sagte: ›Strauss, das wäre doch ein Opernstoff für Sie.‹ Ich konnte erwidern: ›Bin bereits beim Komponieren‹.«
Strauss wird da wohl ein wenig geflunkert haben. Tatsächlich hatte ihm zwar der Lyriker Anton Lindner bereits im Jahr 1900 proaktiv angeboten, aus Wildes Drama ein Opernlibretto zu formen – und Strauss hatte auch Interesse gezeigt. Bis zu einer konkreten Zusammenarbeit ist dieses frühe Projekt freilich nicht gediehen, und auf Grund der Skizzenbücher darf davon ausgegangen werden, dass Strauss nicht vor 1903 mit der Komposition begann. An jenem 15. November 1902 war er somit noch nicht »beim Komponieren«, stattdessen wird er sich wohl am Abend eine Droschke nach Charlottenburg genommen haben, wo der Berliner Hofoperndirektor in der Knesebeckstraße 34 sein Zuhause gefunden hatte – also nur einen Kilometer vom Standort des heutigen Schillertheaters entfernt. Hier in der Knesebeckstraße dürfte er dann im Folgejahr auch die Arbeit an Salome aufgenommen haben. Salome in der Komischen Oper Berlin @Schillertheater – das fühlt sich also irgendwie wie ein Heimspiel an.
II. Oscar Wildes Geheimnis der Liebe
Der Autor der Salome, Oscar Wilde, war zum Zeitpunkt der Berliner Aufführung im Kleinen Theater bereits drei Jahre tot – den weltweiten Siegeszug, den Richard Strauss’ Oper nach ihrer Dresdner Uraufführung 1905 antreten sollte, konnte er also nicht mehr erleben. Wilde hatte 1895 den Vater eines seiner Geliebten wegen Verleumdung verklagt und verlor den Prozess; umgekehrt verklagte nun jener Vater Wilde wegen homosexuellen Umgangs mit männlichen Prostituierten. Wilde wurde zu zwei Jahren Zuchthaus und Zwangsarbeit verurteilt – eine Zeit, die ihn physisch und psychisch zugrunde richtete. Im Jahr 1900 starb Wilde verarmt und gebrochen in Paris.
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Wilde war zum Zeitpunkt seiner Gerichtsverfahren längst eine höchst skandalträchtige Figur – als »Witzbold und geselliger Nachtfalter« (um den irischen Schriftsteller Colm Tóibín zu zitieren) hatte er sich in den 1880er Jahren einen durchaus sinistren Ruf verschafft, war dann aber sowohl durch seine Prosa als auch seine Dramen zu internationalem Ansehen gelangt. Sein Stück Salomé hatte der vielfach Begabte 1891 in Paris auf Französisch geschrieben, explizit für die berühmte Schauspielerin Sarah Bernhardt. Schnell geriet dieses Werk bei den Zensoren vieler Länder auf den Index, in England fand es keinen Verleger, und auch in Paris konnte es erst 1894 (wie von Wilde erhofft mit Sarah Bernhardt) zur Uraufführung gelangen. Das Sujet hatte Wilde nicht einfach aus der Luft gegriffen: Der Salome-Stoff war regelrecht in Mode, spätestens seitdem der symbolistische Maler Gustave Moreau 1876 sein gewaltiges Gemälde Salomé dansant devant Hérode (»Salome tanzt vor Herodes«) fertigstellte, an dem er nicht weniger als sieben Jahre gearbeitet hatte. Doch Oscar Wilde hatte tief in diesen Stoff hineingespürt und Schichten freigelegt, die an gesellschaftliche Verabredungen rührten. Ein zentraler Satz des Stückes lautet: »Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.« Die Art und Weise, wie Oscar Wilde hier die Natur einer Liebe schildert, musste Anstoß erregen. Wilde zeigt in seiner Titelfigur eine Liebende, die den sozial eingehegten Raum der gewissermaßen ordentlichen Liebe aufsprengt. Ihre Liebe zum Propheten Jochanaan ist im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Käfig gelassen, sie präsentiert sich groß und ohne Maß und kann dadurch böse, asozial und entsetzlich werden. Aber es bleibt Liebe – und nicht zuletzt darin liegt Wildes Größe, dass er dieser Totalität und Maßlosigkeit der Liebe (und damit auch ihren dunkelsten Seiten) zu einer Sprache verhalf.
Auch in anderen Werken birgt Oscar Wildes Blick auf das Geheimnis der Liebe, in dem das Geheimnis des Todes immer gegenwärtig ist, Verstörungspotential. In der Märchenerzählung Die Nachtigall und die Rose etwa soll ein Student einen Liebesbeweis in Form einer roten Rose erbringen. Seltsam genug, es sind keine roten Rosen verfügbar – aber eine Nachtigall verspricht dem Studenten zu helfen, indem sie mit ihrem Herzblut eine Rose rot färbt. »Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und der Dorn berührte ihr Herz, und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Bitter, bitter war der Schmerz, und wilder, wilder wurde das Lied, denn sie sang nun von der Liebe, die der Tod verklärt, von der Liebe, die auch im Grabe nicht stirbt.« Der Student wird – eine zynische Pointe Wildes – die Rose schließlich achtlos wegwerfen. Doch die eigentlich Liebende ist hier ohnehin die Nachtigall, die sich im Liebesakt mit der Rose vollkommen hingibt und darüber ihr Leben verliert.
Auch in anderen Werken birgt Oscar Wildes Blick auf das Geheimnis der Liebe, in dem das Geheimnis des Todes immer gegenwärtig ist, Verstörungspotential. In der Märchenerzählung Die Nachtigall und die Rose etwa soll ein Student einen Liebesbeweis in Form einer roten Rose erbringen. Seltsam genug, es sind keine roten Rosen verfügbar – aber eine Nachtigall verspricht dem Studenten zu helfen, indem sie mit ihrem Herzblut eine Rose rot färbt. »Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und der Dorn berührte ihr Herz, und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Bitter, bitter war der Schmerz, und wilder, wilder wurde das Lied, denn sie sang nun von der Liebe, die der Tod verklärt, von der Liebe, die auch im Grabe nicht stirbt.« Der Student wird – eine zynische Pointe Wildes – die Rose schließlich achtlos wegwerfen. Doch die eigentlich Liebende ist hier ohnehin die Nachtigall, die sich im Liebesakt mit der Rose vollkommen hingibt und darüber ihr Leben verliert.
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Aus dem Zuchthaus heraus hat Oscar Wilde später einen langen, zutiefst erschütternden Brief an seinen Geliebten Lord Alfred Douglas, den Sohn seines Anklägers, geschrieben. Auch in diesem Text, unter dem Titel De profundis (»Aus der Tiefe«) veröffentlicht, stehen gewichtige Sätze über die Liebe. »Liebe kann lesen, was auf dem entferntesten Stern steht«, ist einer davon. Oder: »Auf keiner Welt irgendwo gibt es ein Gefängnis, in das sich die Liebe nicht Einlass verschaffen kann. Wenn Du das nicht verstanden hast, hast Du überhaupt nichts von der Liebe verstanden.« Nicht zuletzt aber spricht Wilde hier auch über die Kraft und die Forderung der Liebe, sich selbst und den anderen in ihr rückhaltlos kennenzulernen (ein Motiv, das auch in Evgeny Titovs Inszenierung der Salome zum Tragen kommt): »Was immer Du über Dich zu sagen hast, sag es ohne Furcht. Schreib nicht, was Du nicht meinst – das ist alles. […] Bedenke auch, dass ich Dich erst noch kennenlernen muss. Vielleicht müssen wir einander erst noch kennenlernen.« Die beiden kannten sich zu diesem Zeitpunkt bereits viele Jahre. Am schockierendsten aber – und thematisch ungemein eng mit der Salomé verbunden – ist eine Zeile aus der ebenfalls im Gefängnis verfassten Ballade, meist als Ballade aus dem Zuchthaus zu Reading bezeichnet: »Yet each man kills the thing he loves«. Die ganze Strophe lautet auf Deutsch:
Nur tötet jeder, was er liebt Damit das jeder hört!
Der macht’s mit einem bittren Blick, Sie schmeichelt und betört.
Der Feige macht’s mit einem Kuss,
Wer Mut hat, nimmt ein Schwert!
Das Geheimnis der Liebe und das Geheimnis des Todes blieben für Oscar Wilde bis zuletzt nahe Verwandte. So nah, dass auch diese Verwandtschaft wiederum in den Gedichtzeilen der Ballade im Gewand des Geheimnisses daherkommt.
Nur tötet jeder, was er liebt Damit das jeder hört!
Der macht’s mit einem bittren Blick, Sie schmeichelt und betört.
Der Feige macht’s mit einem Kuss,
Wer Mut hat, nimmt ein Schwert!
Das Geheimnis der Liebe und das Geheimnis des Todes blieben für Oscar Wilde bis zuletzt nahe Verwandte. So nah, dass auch diese Verwandtschaft wiederum in den Gedichtzeilen der Ballade im Gewand des Geheimnisses daherkommt.
III. Der Skandal, der nie einer wurde
Anders, als man es erwarten sollte, ist Richard Strauss’ Salome zwar potentiell skandalös, aber nie ein tatsächlicher Skandal geworden. Selbst im durchaus puritanischen New York konnte die Erstaufführung an der Metropolitan Opera 1907 weitgehend störungsfrei ablaufen, nur die Befindlichkeiten einiger Finanziers des Opernhauses sorgten für die spätere Absetzung. Immerhin wurden in Wilmington (Delaware) im selben Jahr der Theaterdirektor, der Regisseur und die Salome-Sängerin anlässlich einer Aufführung wegen ungebührlichen Benehmens vorübergehend verhaftet, aber auch hier ist nichts von einem publikumsgetriebenen Skandal während der eigentlichen Vorstellungen bekannt.
Trotzdem war es von Strauss’ Seite ein Wagnis, sich dieser Vorlage anzunehmen. Kaiser Wilhelm II., in dessen Diensten er als Berliner Hofoperndirektor stand, empfand die Salome als unappetitlich und kommentierte lakonisch: »Tut mir leid, ich habe ihn sonst ganz gern, aber damit wird er sich schaden.« (Im Lakonie-Wettstreit obsiegte letztlich Strauss, der später sagte: »Von diesem Schaden konnte ich mir die Garmischer Villa bauen!«) Durch die Ablehnung Wilhelms II. kam Berlin als Uraufführungsort nicht in Betracht. Auch Gustav Mahlers Bemühungen, die Oper in Wien zur Premiere zu bringen, scheiterten vorerst an der Zensur. Möglicherweise sind auf diese Weise zwei Uraufführungsskandale verhindert worden – am tatsächlichen Uraufführungsort Dresden geriet Salome dann jedoch zum Triumph. »Am Schlusse der Vorstellung brach das Publikum in enthusiastische Beifallsbezeugungen aus, die wohl eine Viertelstunde lang anhielten«, berichtete die Presse.
Strauss hätte die Möglichkeit gehabt, den Stoff abzumildern – so wie viele Opern des 18. und 19. Jahrhunderts die ihnen zugrunde liegenden Geschichten ins melodramatisch Eindeutige entschärften und im schlimmsten Fall sogar Happy-End-artige Wendungen einfügten. (In Jules Massenets Hérodiade etwa, einer weiteren, 1881 in Brüssel uraufgeführten Salome-Oper, wird Salome absurderweise sogar von Jean, also Johannes dem Täufer, zurückgeliebt). Doch Strauss vertonte tatsächlich Oscar Wildes öffentlich so kritisch beäugten Originaltext – in der Übersetzung von Hedwig Lachmann, die auch der Berliner Aufführung von 1902 zugrunde lag. Er kürzte den Text zwar um die Hälfte, schwächte dabei aber nichts ab. Die gestrichenen Partien stammen zum größten Teil aus den Partien des Herodes und der Herodias, nicht zuletzt philosophische Exkurse fielen Strauss’ Rotstift zum Opfer. An nicht unbedeutenden Stellen erhielt der Text durch das Redigat des Komponisten sogar noch dramaturgische Zuspitzungen. Wenn es etwa im Salome-Libretto heißt: »Es ist seltsam, dass der Mann meiner Mutter mich so ansieht«, unterschlägt Strauss zwei weitere Sätze Wildes: »Ich weiß nicht, was es heißen soll. In Wahrheit – ich weiß es nur zu gut.« Strauss verschiebt mit solchen kleinen Änderungen den Charakter der Salome ein wenig in Richtung einer naiven Unbefangenheit – die den tödlichen Weg, den sie schließlich gehen wird, nur noch weiter erscheinen lässt.
Trotzdem war es von Strauss’ Seite ein Wagnis, sich dieser Vorlage anzunehmen. Kaiser Wilhelm II., in dessen Diensten er als Berliner Hofoperndirektor stand, empfand die Salome als unappetitlich und kommentierte lakonisch: »Tut mir leid, ich habe ihn sonst ganz gern, aber damit wird er sich schaden.« (Im Lakonie-Wettstreit obsiegte letztlich Strauss, der später sagte: »Von diesem Schaden konnte ich mir die Garmischer Villa bauen!«) Durch die Ablehnung Wilhelms II. kam Berlin als Uraufführungsort nicht in Betracht. Auch Gustav Mahlers Bemühungen, die Oper in Wien zur Premiere zu bringen, scheiterten vorerst an der Zensur. Möglicherweise sind auf diese Weise zwei Uraufführungsskandale verhindert worden – am tatsächlichen Uraufführungsort Dresden geriet Salome dann jedoch zum Triumph. »Am Schlusse der Vorstellung brach das Publikum in enthusiastische Beifallsbezeugungen aus, die wohl eine Viertelstunde lang anhielten«, berichtete die Presse.
Strauss hätte die Möglichkeit gehabt, den Stoff abzumildern – so wie viele Opern des 18. und 19. Jahrhunderts die ihnen zugrunde liegenden Geschichten ins melodramatisch Eindeutige entschärften und im schlimmsten Fall sogar Happy-End-artige Wendungen einfügten. (In Jules Massenets Hérodiade etwa, einer weiteren, 1881 in Brüssel uraufgeführten Salome-Oper, wird Salome absurderweise sogar von Jean, also Johannes dem Täufer, zurückgeliebt). Doch Strauss vertonte tatsächlich Oscar Wildes öffentlich so kritisch beäugten Originaltext – in der Übersetzung von Hedwig Lachmann, die auch der Berliner Aufführung von 1902 zugrunde lag. Er kürzte den Text zwar um die Hälfte, schwächte dabei aber nichts ab. Die gestrichenen Partien stammen zum größten Teil aus den Partien des Herodes und der Herodias, nicht zuletzt philosophische Exkurse fielen Strauss’ Rotstift zum Opfer. An nicht unbedeutenden Stellen erhielt der Text durch das Redigat des Komponisten sogar noch dramaturgische Zuspitzungen. Wenn es etwa im Salome-Libretto heißt: »Es ist seltsam, dass der Mann meiner Mutter mich so ansieht«, unterschlägt Strauss zwei weitere Sätze Wildes: »Ich weiß nicht, was es heißen soll. In Wahrheit – ich weiß es nur zu gut.« Strauss verschiebt mit solchen kleinen Änderungen den Charakter der Salome ein wenig in Richtung einer naiven Unbefangenheit – die den tödlichen Weg, den sie schließlich gehen wird, nur noch weiter erscheinen lässt.
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Dass der Skandal letztlich ausblieb, hängt wohl auch mit der scheinheiligen bürgerlichen Verfasstheit der Zeit zusammen. Diejenigen Opernbesucher (und die männliche Form dürfte hier die angemessene sein), die ihre Operngläser auf die Salome-Darstellerinnen scharfstellten, konnten sich zugleich über und an Salome erregen. Das orientalische Setting, das durch den biblischen Rahmen der Geschichte vorgegeben war, ermöglichte eine bequeme Distanzierung. Im Schutze dieser Distanzierung konnten sich die Zuschauer ganz ähnlich verhalten wie Herodes oder andere Figuren innerhalb des Stücks: Sie konnten Salome zu einer Projektionsfläche für alles Mögliche machen, für ihr Begehren, für ihren Abscheu, auch für ihr Frauenbild, für das schnell der Begriff femme fatale gefunden war. Was davon in der Figur der Salome tatsächlich angelegt ist und was erst im Auge der Betrachter entsteht, ist eine der wesentlichen Fragen, die die Inszenierung von Evgeny Titov an der Komischen Oper Berlin zu stellen versucht.
In Berlin, wo die Salome immerhin zum größten Teil komponiert wurde, konnte die Oper übrigens Ende 1906 trotz der Bedenken des Kaisers doch noch aufgeführt werden – ihr erstes Heimspiel sozusagen. Den moralischen Vorbehalten Wilhelms II. begegnete der damalige Intendant der königlichen Bühnen in Berlin Georg von Hülsen mit einem Taschenspielertrick. Er versprach dem Kaiser, dass (auf dessen eigene Anregung hin) der Stern von Bethlehem ins Bühnenbild integriert werde – um im Sündenpfuhl des Herrschers Herodes Antipas die christliche Anmutung zu wahren. Der historische Anachronismus scheint nicht weiter gestört zu haben – der Stern zu Bethlehem leuchtete bei Jesu Geburt, also etwa dreißig Jahre früher, zu Zeiten von Herodes dem Großen, des Vaters von Herodes Antipas. Es gibt eben viele Wege, sich um den eigentlichen Kern eines Stückes herumzudrücken.
In Berlin, wo die Salome immerhin zum größten Teil komponiert wurde, konnte die Oper übrigens Ende 1906 trotz der Bedenken des Kaisers doch noch aufgeführt werden – ihr erstes Heimspiel sozusagen. Den moralischen Vorbehalten Wilhelms II. begegnete der damalige Intendant der königlichen Bühnen in Berlin Georg von Hülsen mit einem Taschenspielertrick. Er versprach dem Kaiser, dass (auf dessen eigene Anregung hin) der Stern von Bethlehem ins Bühnenbild integriert werde – um im Sündenpfuhl des Herrschers Herodes Antipas die christliche Anmutung zu wahren. Der historische Anachronismus scheint nicht weiter gestört zu haben – der Stern zu Bethlehem leuchtete bei Jesu Geburt, also etwa dreißig Jahre früher, zu Zeiten von Herodes dem Großen, des Vaters von Herodes Antipas. Es gibt eben viele Wege, sich um den eigentlichen Kern eines Stückes herumzudrücken.
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