Broadwayfeeling mit Gisela

Ach, möchte man schwärmen, wie schön die Zeit, als das Prinzip 'flacher Hierarchien' noch als Kollegialität verstanden wurde – und Teams Kollektive hießen. Dennoch: so sehr Axel Ranischs Inszenierung der DDR-Operette Messeschlager Gisela eine Zeitreise in die 1960er ist – zum Schwelgen in Nostalgie lädt sie nicht ein. Vielmehr versteckt sich in dem Stück eine ganz aktuelle Geschichte über Zusammenhalt, kollegial-charmante Seitenhiebe unter Kolleg:innen und über die Selbstfindung in der ersten Reihe. Mittendrin: Modegestalterin Gisela Claus, die lernen muss, mit der Wertschätzung ihrer Arbeit zu leben. Eine Geschichte, in der sich die Darstellerin Gisa Flake wiederfindet. Im Gespräch erzählt sie über ihre Liebe zur Rolle der Gisela, der Kapitulation vor Komplimenten und wie viel Broadwayfeeling auf der Bühne im Zelt am Roten Rathaus auflebt.
Wie bist Du zur Rolle der Gisela gekommen?

Gisa Flake: Ich habe Axel Ranisch bei einem Casting für eine Fernsehserie kennen gelernt, das für mich nicht so gut lief. Das lag aber nicht an Axel Ranisch. Aber wir haben danach lange telefoniert und uns sehr gut verstanden. Und dann bekam ich von ihm irgendwann danach eine SMS – da stand ich gerade in New York auf dem Times Sqare, ungelogen (lacht) – und er schrieb: Möchtest Du meine Gisela sein? Ich kannte zwar die Geschichte nicht, aber ich wusste: wenn Axel Ranisch eine Operette inszeniert, dann mache ich alles für ihn!

Die erste Reihe lieben lernen

Ist der Enthusiasmus für die Rolle der Gisela Claus immer noch der gleiche?

Gisa Flake: Der hat sich nicht geändert. Jedes Mal, wenn ich auf den Proben für einen Moment uns von außen zugeschaut habe, dachte ich: was für ein Wahnsinn, was für ein Geschenk bei dieser Produktion mit diesen Kolleg:innen dabei zu sein. Ich erlebe eine große Begeisterung im Team für das Stück. Ich habe mich noch nie so angstfrei auf der Bühne gefühlt, es gibt nichts, was ich mich in meiner Rolle als Gisela nicht trauen würde. Das ist neu für mich und hat mit der Spielfreude zu tun, die Axel Ranisch jedes Mal auf den Proben mitgebracht und geweckt hat. Messeschlager Gisela ist aber auch ein Geschenk für mich, weil ich das erste Mal mit einem meiner Vorbilder und Idole zusammen auf der Bühne stehe. Ich habe in einer Musical-AG während meines Abiturs im Singspiel Im weißen Rößl mitgespielt. Und zur Vorbereitung habe ich mir eine Version des Stücks mit Andreja Schneider als Wirtin immer wieder angeschaut – und war hin und weg.

Andreja Schneider spielt die Werkstattleiterin Emma Puhlmann und ist Giselas größte Förderin. Wer ist Gisela Claus, wen siehst Du in der Figur?

Gisa Flake: Gisela Claus ist Schneiderin im VEB Berliner Schick und hat es durch ihre kreative Energie zur stellvertretenden Modegestalterin geschafft. Auch wenn sie schon ein paar Stufen auf der Karriereleiter geschafft hat, ist es nicht ihr Ego, das sie antreibt. Sie sieht sich sehr stark als Teil eines Kollektivs. Ihr ist nichts fremder, als im Mittelpunkt zu stehen. Sie versteckt sich hinter ihrer Kunst und Profession als Modedegestalterin und muss schon in die erste Reihe gezerrt werden. Wichtiger für sie ist allerdings, dass sie ihren eigenen Wert erkennt, als Mensch, unabhängig von ihrer Position im Betrieb.
Hast Du für Dich Gemeinsamkeiten zwischen Dir und Gisela Claus entdeckt?

Gisa Flake: Die größte Gemeinsamkeit zwischen der Figur Gisela und mir sehe ich schon darin, das es ihr und mir schwer fiel und manchmal fällt, den eigenen Wert zu erkennen. Daran knabbere ich immer wieder. Ich bin selten so ganz zufrieden mit damit, was ich vor der Kamera oder auf der Bühne spiele. Ich schaue mir auch nie gern Filme oder Serien an, in denen ich mitgespielt habe. Mich kann es ein wenig überfordern, Komplimente anzunehmen. Und so geht es Gisela auch. Das zeigt sich am besten in der Liebesgeschichte, in die sie in Messeschlager Gisela hineingeworfen wird. Plötzlich steht da ein Mann vor ihr, der sie nimmt wie sie ist. Sie erschrickt darüber und muss es erst einmal abwehren, bis sie sich darauf einlässt. Das kann ich so gut nachvollziehen, weil das fast die gleiche Geschichte ist, wie ich meinen Freund vor zehn Jahren kennen gelernt habe. Eigentlich wollte ich ihn zuerst mit einer Freundin verkuppeln und konnte einfach nicht glauben, dass er mich so toll findet, wie er es sagt. Aber irgendwann musste ich dann einfach meine Mauern fallen lassen...

Wie lange hat es gedauert, bis Du von ihm Komplimente annehmen konntest?

Gisa Flake: Es dauert immer noch, aber ich bessere mich. Ich gebe manchmal einfach auf. Ihm fällt es aber oft auch nicht leicht. Und so endet unser kleiner Kampf der Komplimente in der gegenseitigen Kapitulation: ich nehme seine an – und er meine.

Ergriffen ab der ersten Sekunde

Messeschlager Gisela spielt in der der ehemaligen DDR der 1960er Jahre. Helfen Dir diese Parallelen zu Deiner eigenen Geschichte, Gisela ins Heute zu holen?

Gisa Flake: Die Gefühle, nicht gesehen zu werden, die Gisela durchlebt, sind sehr aktuell. Klar, Instagram und andere soziale Medien bieten die perfekte Möglichkeit, sein eigentliches Ego wunderbar hinter schillernden Posts zu verstecken. Und ich frage mich, wie lange kann jemand ein solche Täuschung und auch Selbsttäuschung durchhalten? Oder anders gefragt: was braucht es, um sich einzugestehen, gut zu sein wie man ist? Die Erkenntnis, die sich für mich aus den Proben und der Arbeit an der Rolle der Gisela herauskristallisiert hat, ist, dass wir nicht allein sind, mit dem was uns prägt und vielleicht plagt: uns umgeben Freunde, Familie, Gemeinschaften, die uns stützen. Das macht Messeschlager Gisela trotz des historischen Stoffs zu einem sehr heutigen Stück Musiktheater, frei von Nostalgie.
Die Bühne im Zelt am Roten Rathaus ist im Vergleich der im Schillertheater sehr klein, das Publikum sitzt in einem Halbkreis sehr nah an den Szenen, die ihr spielt. Hilft diese Nähe, dieses heutige Gefühl ins Publikum zu tragen?

Gisa Flake: Ich denke schon. Aber diese Bühne ist auch etwas gemein: sie ist klein, rund und dreht sich. Das macht es sehr herausfordernd, die Szenen für alle sichtbar und erlebbar zu spielen. Hinzukommt, dass wir noch einen Chor mit 30 Sänger:innen und dazu zehn Tänzer in einigen Szenen unterbringen müssen. Das funktioniert nur, wenn das ganze Zelt zur Bühne wird. Es gibt keine eindeutige Trennung zwischen der Bühne und den Zuschauern. Das Publikum sitzt also mit in der Szene, ist emotional vielleicht deshalb viel näher dran – allerdings ohne mitmachen zu müssen.

Dennoch: Wie schafft es die Inszenierung, die historische Erzählung nicht als Geschichtsunterricht auf die Bühne zu bringen?

Gisa Flake: Als ich die Gesangstexte zum ersten Mal gelesen habe, war ich überrascht, wie selbstbewusst die Frauen in Messeschlager Gisela auftreten. In der damaligen BRD wurden Frauen auf der Bühne eher devot gezeichnet, die als Betrogene in Liebesbeziehungen oder Ehen in tiefen Selbstzweifel verfielen. Und in diesem Stück sagen die Frauen: Du hast mich betrogen? Hast Du jetzt völlig den Verstand verloren? Dieses Selbstbewusstsein, dieses Gefühl zu spielen, finde ich sehr modern – und prickelnd. Mich fasziniert aber auch die Aufbruchstimmung zu Beginn der 1960er Jahre-DDR, kurz vor dem Mauerbau, die in dem Stück auflebt, die Hoffnung, mit diesem Staat etwas wirklich Neues schaffen zu können. Das ist etwas anderes als der Mief der Zeit in der damaligen BRD, in der ein Stunde Null eigentlich erst Ende der 1960iger erkämpft wurde, während man in der damaligen DDR schon weiter war. Trotzdem ist Messeschlager Gisela kein Lobgesang auf die DDR, sondern ein interessanter Spiegel der Zeit vor dem Mauerbau und ihres Alltags, mit vielen kritischen Anspielungen – mal subtil, mal sehr deutlich – auf Planerfüllung, den Druck durch Funktionäre und Linientreue.
Als Schauspielerin spielst Du in Fernsehserien, aber hast auch eine Leidenschaft für Chansons. Mit der hast Du 2009 den Bundeswettbewerb Gesang gewonnen. Fließen diese Erfahrungen in Messeschlager Gisela ein?

Gisa Flake: Für mich schließt sich mit der Rolle der Gisela in Messeschlager Gisela ein Kreis. Ursprünglich komme ich aus dem Gesang und habe dann Schauspiel in München studiert. Beides kann ich mit Gisela wunderbar verbinden, weil die Komische Oper Berlin der Darstellung von Figuren im Musiktheater sehr ernst nimmt. Ich habe schon sehr viele Operetten und Opern gesehen. Und oft hatte ich den Eindruck, die Ideen der Inszenierungen kommen bei mir nicht an, weil ich dem Schauspiel nicht glaube. Aber die Stücke, die ich hier am Haus gesehen habe, erinnern mich an Aufführungen, die ich am New Yorker Broadway gesehen habe: da war ich von der ersten Sekunde an emotional ergriffen und mittendrin, obwohl ich dachte, das Thema auf der Bühne hat nichts mit mir zu tun. Diesen Broadway-Effekt, perfektes Schauspiel gepaart mit Musiktheater, habe ich an der Komischen Oper Berlin erlebt. Hinzu kommt eine große Offenheit und Spielfreude, ein Ernstnehmen der Figuren, vor allem der weiblichen. Das kann ich in meiner Rolle als Gisela Klaus sehr schön auskosten und genießen.

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