© Monika Rittershaus
Wir sind was wir sind
Queerness im Musical – ein kurzer Überblick von Elena Vlachos-Pryswitt
»Dem Leben, stell’n wir uns ob’s süß ist, oder bitter«
La Cage aux Folles war nach seiner Premiere am 21. August 1983 in New York das erste anhaltend erfolgreiche Musical auf der großen Bühne des Broadways, das in seiner Haupthandlung die Liebe eines gleichgeschlechtlichen Paares thematisierte. Mit einer Laufzeit von vier Jahren und ausgezeichnet mit sechs Tony Awards (dem Oscar® der Theaterwelt), war es ein Erfolg auf ganzer Linie. Die New York Times schrieb damals von einem zwar neuen, aber im Aufbaustil sehr traditionellen, fast schon altmodischen Musical »für die ganze Familie«. Der an den klassischen Musicals eines Cole Porter oder George Gershwin geschulte Musikstil des Komponisten Jerry Herman, der auch maßgeblich an den Musicalhits Hello, Dolly! und Mame beteiligt war, zeigt sich auch in La Cage aux Folles. Dass das Stück 1986 am Londoner West End weniger gut lief als am Broadway, kann nicht zuletzt auf die AIDS-Krise zurückgeführt werden, die in den 1980ern nicht nur die queere Szene erschütterte. Ein Stück, das die Freiheit der Liebe auch und gerade zwischen gleichgeschlechtlichen Partner*innen propagierte, schien mit einem Mal nicht mehr opportun.
Die deutsche Erstaufführung 1985 in Berlin wurde dann jedoch von Kritik und Publikum gefeiert. Helmut Baumann, damals künstlerischer Leiter und später Intendant des Theaters des Westens, hatte bereits zehn Jahre zuvor das gleichnamige Sprechtheaterstück von Jean Poiret in Paris gesehen. Nun war er von einem Besuch des Musicals am Broadway so begeistert, dass er sich sofort die Rechte für eine Inszenierung sicherte. Schließlich übernahm er in seiner eigenen Inszenierung sogar die Rolle der Hauptfigur Zaza alias Albin. Sie wurde zu einer seiner Paraderollen. Wichtig war ihm in seiner Inszenierung eine weniger klischeehafte Darstellung der Drag-Identitäten, als es am Broadway der Fall gewesen war. Die Beziehung zwischen den Hauptfiguren Albin und Georges wurde inniger dargestellt. Sie kamen sich im Spiel näher – küssten sich, zeigten Zuneigung zueinander – wie es für ein Paar eben üblich ist. Die Sexualität der beiden Figuren hingegen rückte eher in den Hintergrund. In der Produktion gelang es Baumann, durch diese emotionale Aufwertung und die tiefere Verbundenheit der Figuren eine Ebene zu schaffen, mit der sich viele Zuschauende identifizieren konnten.
Es lag sicher nicht am mangelnden Wissen über gleichgeschlechtliche Beziehungen, dass diese Ebene in der Erstinszenierung am Broadway weniger zur Geltung kam. Sowohl Harvey Fierstein als auch Jerry Herman und Arthur Laurents (der damalige Regisseur des Stücks) sind öffentlich als queer geoutet. Allerdings musste man sicherstellen, dass ein Stück genug Publikum anziehen würde, um die hohen Kosten der Produktion zu decken. Das Showbusiness in New York lebt bis heute allein durch die Publikumseinnahmen, und es war vor der Premiere nicht klar, ob ein Stück mit so starker Thematisierung von Homosexualität in der breiten kommerziellen Theaterlandschaft bestehen könnte. Außer Harvey Fierstein brachte keiner der drei genannten Künstler 1983 eine männliche Begleitung mit zur Premiere von La Cage aux Folles. In der breiteren Gesellschaft fehlte es der LGBTQIA+ Community noch an Sichtbarkeit.
Die deutsche Erstaufführung 1985 in Berlin wurde dann jedoch von Kritik und Publikum gefeiert. Helmut Baumann, damals künstlerischer Leiter und später Intendant des Theaters des Westens, hatte bereits zehn Jahre zuvor das gleichnamige Sprechtheaterstück von Jean Poiret in Paris gesehen. Nun war er von einem Besuch des Musicals am Broadway so begeistert, dass er sich sofort die Rechte für eine Inszenierung sicherte. Schließlich übernahm er in seiner eigenen Inszenierung sogar die Rolle der Hauptfigur Zaza alias Albin. Sie wurde zu einer seiner Paraderollen. Wichtig war ihm in seiner Inszenierung eine weniger klischeehafte Darstellung der Drag-Identitäten, als es am Broadway der Fall gewesen war. Die Beziehung zwischen den Hauptfiguren Albin und Georges wurde inniger dargestellt. Sie kamen sich im Spiel näher – küssten sich, zeigten Zuneigung zueinander – wie es für ein Paar eben üblich ist. Die Sexualität der beiden Figuren hingegen rückte eher in den Hintergrund. In der Produktion gelang es Baumann, durch diese emotionale Aufwertung und die tiefere Verbundenheit der Figuren eine Ebene zu schaffen, mit der sich viele Zuschauende identifizieren konnten.
Es lag sicher nicht am mangelnden Wissen über gleichgeschlechtliche Beziehungen, dass diese Ebene in der Erstinszenierung am Broadway weniger zur Geltung kam. Sowohl Harvey Fierstein als auch Jerry Herman und Arthur Laurents (der damalige Regisseur des Stücks) sind öffentlich als queer geoutet. Allerdings musste man sicherstellen, dass ein Stück genug Publikum anziehen würde, um die hohen Kosten der Produktion zu decken. Das Showbusiness in New York lebt bis heute allein durch die Publikumseinnahmen, und es war vor der Premiere nicht klar, ob ein Stück mit so starker Thematisierung von Homosexualität in der breiten kommerziellen Theaterlandschaft bestehen könnte. Außer Harvey Fierstein brachte keiner der drei genannten Künstler 1983 eine männliche Begleitung mit zur Premiere von La Cage aux Folles. In der breiteren Gesellschaft fehlte es der LGBTQIA+ Community noch an Sichtbarkeit.
»Ich hör La lala la, lalala, lalala und bin jung und verliebt.«
La Cage aux Folles thematisiert die Drag-Club-Szene: Georges ist Besitzer eines Clubs an der Riviera mit Albin – seinem Mann – als größtem Star des erfolgreichen Clubs. Während der Drag in La Cage aux Folles eine in der Gesellschaft stereotypisierte Kultur der queeren Szene darstellt, präsentiert das Stück Georges und Albin gleichzeitig als Paar in einer ganz »normalen« Liebesbeziehung, wie sie in jeden Alltag passt.
Obwohl das Musical keinen Anspruch auf einen bestimmten zeitlichen Rahmen aufweist, fällt das Alter des Liebespaares auf. Albin und Georges führen seit über dreißig Jahren eine glückliche Beziehung miteinander. Der Weg, den sie bis zur erzählten Handlung miteinander gegangen sind, wird kaum thematisiert. Dennoch entsteht der Eindruck eines langen gemeinsamen Wegs. Der Gedanke der Normalität einer gleichgeschlechtlichen Beziehung im fortgeschrittenen Alter und die Normalität von Queerness als Teil der Gesellschaft, ganz unabhängig von Generation und Zeit, wird hier deutlich.
Als La Cage aux Folles in den 1980ern erst am Broadway und dann in West-Berlin uraufgeführt wurde, war es gleichgeschlechtlichen Paaren im geteilten Deutschland noch nicht möglich, eine eingetragene Lebenspartnerschaft, geschweige denn eine staatlich anerkannte Ehe einzugehen. 2001 wurde ein Gesetz erlassen, welches gleichgeschlechtlichen Paaren einen Ehe-ähnlichen rechtlichen Status einräumte, jedoch nicht den offiziellen Status eines Ehepaares. Es dauerte weitere sechzehn Jahre, bis in Deutschland die »richtige« Ehe für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt und einem Paar wie Albin und Georges rechtlich uneingeschränkte staatliche Anerkennung eingeräumt wurde.
Obwohl das Musical keinen Anspruch auf einen bestimmten zeitlichen Rahmen aufweist, fällt das Alter des Liebespaares auf. Albin und Georges führen seit über dreißig Jahren eine glückliche Beziehung miteinander. Der Weg, den sie bis zur erzählten Handlung miteinander gegangen sind, wird kaum thematisiert. Dennoch entsteht der Eindruck eines langen gemeinsamen Wegs. Der Gedanke der Normalität einer gleichgeschlechtlichen Beziehung im fortgeschrittenen Alter und die Normalität von Queerness als Teil der Gesellschaft, ganz unabhängig von Generation und Zeit, wird hier deutlich.
Als La Cage aux Folles in den 1980ern erst am Broadway und dann in West-Berlin uraufgeführt wurde, war es gleichgeschlechtlichen Paaren im geteilten Deutschland noch nicht möglich, eine eingetragene Lebenspartnerschaft, geschweige denn eine staatlich anerkannte Ehe einzugehen. 2001 wurde ein Gesetz erlassen, welches gleichgeschlechtlichen Paaren einen Ehe-ähnlichen rechtlichen Status einräumte, jedoch nicht den offiziellen Status eines Ehepaares. Es dauerte weitere sechzehn Jahre, bis in Deutschland die »richtige« Ehe für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt und einem Paar wie Albin und Georges rechtlich uneingeschränkte staatliche Anerkennung eingeräumt wurde.
© Monika Rittershaus
»Ich bin was ich bin, ich schuf mein ganz eigenes Dasein.«
Man sagt, zu beinahe jeder Lebenssituation passt ein Musical-Song als Vorschlag oder Anreiz für den Umgang mit den entsprechenden Gedanken und Gefühlen. Das wohlige Gefühl, verstanden zu werden, nicht allein zu sein, vielleicht mutiger und selbstsicherer zu werden, ist der (kalkulierte) Effekt vieler dieser Lieder. Jedes gute Musical hat eine »signature tune«, das eine Lied mit diesen Attributen. Sie handeln von Freiheit, Selbstbestimmung und dem Drang, dem nachzugehen, was die Persönlichkeit erfüllt. Oftmals wird dieses Musikstück als Finale des ersten Aktes gesetzt. Es drückt einen Wendepunkt der erzählten Geschichte aus, eine Kampfansage an die Missstände, die bis dahin im Stück erzählt wurden.
Dies trifft auch auf das wohl bekannteste Lied aus La Cage aux Folles zu: »Ich bin was ich bin«. Kurz vor dieser großen Nummer erfährt Albin vom Verrat an ihm: Georges versucht ihm – zwischen zweier seiner Drag-Auftritte als Zaza – beizubringen, dass Albin beim ersten Treffen von Georges’ Sohn Jean-Michel mit der Familie seiner Verlobten nicht erwünscht sei. Jean-Michels leibliche Mutter soll ihn ersetzen. Und das, obwohl Albin Jean-Michel von klein auf großgezogen hat. Georges rechtfertigt die Entscheidung mit der ultra-reaktionären Haltung der Eltern und ihrer Homofeindlichkeit. Er versucht, Albin zu beschwichtigen und meint: »Sie sind was sie sind«. Albin scheint erst aufzugeben, doch bei seinem Auftritt als Zaza wirft er als Antwort auf Georges nach einem zunächst zögerlichen »Ich bin was ich bin« kurzerhand alle Ko-Performenden von der Bühne. Auch Albin ist es wert, der zu sein, der er ist, ohne sich verstecken zu müssen.
Dies trifft auch auf das wohl bekannteste Lied aus La Cage aux Folles zu: »Ich bin was ich bin«. Kurz vor dieser großen Nummer erfährt Albin vom Verrat an ihm: Georges versucht ihm – zwischen zweier seiner Drag-Auftritte als Zaza – beizubringen, dass Albin beim ersten Treffen von Georges’ Sohn Jean-Michel mit der Familie seiner Verlobten nicht erwünscht sei. Jean-Michels leibliche Mutter soll ihn ersetzen. Und das, obwohl Albin Jean-Michel von klein auf großgezogen hat. Georges rechtfertigt die Entscheidung mit der ultra-reaktionären Haltung der Eltern und ihrer Homofeindlichkeit. Er versucht, Albin zu beschwichtigen und meint: »Sie sind was sie sind«. Albin scheint erst aufzugeben, doch bei seinem Auftritt als Zaza wirft er als Antwort auf Georges nach einem zunächst zögerlichen »Ich bin was ich bin« kurzerhand alle Ko-Performenden von der Bühne. Auch Albin ist es wert, der zu sein, der er ist, ohne sich verstecken zu müssen.
»Es wird kein zurück, kein Fangnetz geben, einmal, also outet euch und raus ins Leben! Man lebt ohne Sinn, bis man dann sagt: Hey Welt, ich bin, was ich bin!«
Harvey Fierstein schrieb das zentrale Lied ursprünglich als Monolog. Als Ausdruck von Albins Schmerz, aber auch als genau jenen Moment, in dem er realisiert: Er ist richtig, genau so wie er ist. Jerry Herman übersetzte den Text in einen Song. Eine wirksame Methode einer wichtigen Botschaft Nachdruck zu verleihen, besteht darin, sie mit einer einprägsamen Melodie zu unterlegen.
Als Hit »I am what I am« ist dieser Titel weit über die Grenzen der Musicalwelt bekannt, nicht zuletzt in den Versionen von Shirley Bassey und Gloria Gaynor. So beweist Jerry Herman einmal mehr, dass seine »nur schönen Melodien und verständlichen Texte«, wie Kritiker*innen sie abwertend benennen, eine große und wichtige Wirkungskraft auf eine breite Schicht der Bevölkerung haben. Schon bevor La Cage aux Folles auf die Bühnen kam, war der Satz »I am what I am« in der Queer Community Ausdruck ihrer Identität. Als 1983 das Musical Premiere feierte, dauerte
es nicht lange, bis man »I am what I am« als »Gay Anthem« feierte. Während der AIDS-Krise befeuerte dieser Titel den Kampf um die Beständigkeit queerer Identität. 2004 wurde »I am what I am« zur offiziellen Nationalhymne des im selben Jahr gegründeten Staates »Gay & Lesbian Kingdom of the Coral Sea Islands« gekürt – eine australische Protestbewegung gegen die damalige Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Land.
Als Hit »I am what I am« ist dieser Titel weit über die Grenzen der Musicalwelt bekannt, nicht zuletzt in den Versionen von Shirley Bassey und Gloria Gaynor. So beweist Jerry Herman einmal mehr, dass seine »nur schönen Melodien und verständlichen Texte«, wie Kritiker*innen sie abwertend benennen, eine große und wichtige Wirkungskraft auf eine breite Schicht der Bevölkerung haben. Schon bevor La Cage aux Folles auf die Bühnen kam, war der Satz »I am what I am« in der Queer Community Ausdruck ihrer Identität. Als 1983 das Musical Premiere feierte, dauerte
es nicht lange, bis man »I am what I am« als »Gay Anthem« feierte. Während der AIDS-Krise befeuerte dieser Titel den Kampf um die Beständigkeit queerer Identität. 2004 wurde »I am what I am« zur offiziellen Nationalhymne des im selben Jahr gegründeten Staates »Gay & Lesbian Kingdom of the Coral Sea Islands« gekürt – eine australische Protestbewegung gegen die damalige Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Land.
»Absurde Paare kommen jeden Abend her, Nonne und Seemann, zwei Eunuchen und noch mehr. Willst du dabei sein, komm zu uns, hier kannst du frei sein im La Cage Aux Folles.«
Der La Cage aux Folles Club ist im gleichnamigen Musical ein angesagter Queer-Club in St. Tropez. Frankreich gilt als eines der progressivsten Länder der Welt, wenn es um LGBTQIA+ Rechte geht. Homosexualität wurde bereits 1791 während der Französischen Revolution legalisiert, wenn auch mit immer wieder schwankenden Tendenzen in der Politik. Die Riviera ist nicht nur für den Jetset bekannt, sondern auch für ihre queere Szene. Verständlich, dass Jean Poiret dort schon in den 1970ern mit seinem Theaterstück punkten konnte. In Deutschland war insbesondere das Berlin der 1920er Jahre eine Metropole für queere Menschen. Der § 175 über die Kriminalisierung von Homosexualität zwischen männlich gelesenen Menschen wurde in den 1920er Jahren in der deutschen Politik immer wieder thematisiert. Einige plädierten für eine Aufhebung, eine Entschärfung oder wiederum eine Verschärfung, um dann wieder entschärft zu werden. Sogar Organisationen wie die von Magnus Hirschfeld, einem damals in Berlin lebenden jüdischen Mediziner und Sexualforscher, die sich für die Entkriminalisierung von Homosexualität einsetzte, wurden gegründet. Das Ausleben von queerer Identität in den Theatern und Clubs des Berlins der 20er Jahre wurde trotz § 175 akzeptiert. Durch den Aufstieg der Nationalsozialist*innen Anfang der 1930er Jahre wurde es für queere Menschen immer schwieriger. Kontrollen wurden strenger und Nachtclubs der queeren Szene schlossen nacheinander. Der Zweite Weltkrieg zerstörte die Gedanken und ersten Grundlagen einer vielfältigeren Gesellschaft und diese entwickelte sich heteronormativer. Nach dem Stonewall-Aufstand in den USA schwappten die Ereignisse rund um die Christopher Street auch nach Deutschland. So entwickelte sich gerade im West-Berlin der 1970er in Schöneberg eine neue queere Szene. Bereits in den 1920ern war dies ein wichtiger Kiez für das queere Umfeld.
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»Jetzt zähl’ mal die Liebsten, die dich wirklich lieben von jetzt bis zum Schluss.«
Auch wenn die Ära der Goldenen Zwanziger Jahre ein jähes Ende fand, blieb ein nachhaltiger Einfluss auf die Theaterszene Deutschlands bestehen. Berlin war berühmt für seine großen sogenannten Jazz-Operetten, die offen mit Sexualität und jeglicher Lebensweise umgingen. Während der NS-Zeit wurden Spielstätten wie das Metropoltheater zwar weitergeführt, jedoch nur mit Stoffen, die mit der NS-Ideologie konform gingen. Nach der Unterbindung »unangemessener« Bühnenstoffe und der Vertreibung der Autor*innen, die häufig einen jüdischen Hintergrund hatten, wurde durch die Kulturpolitik der Nationalsozialist*innen das staatlich subventionierte Theater systematisch ausgebaut. Förderung war im Nationalsozialismus jedoch nur noch für Stücke der sogenannten Hochkultur vorgesehen. Die Operette gehörte nur bedingt dazu, weil sie nie den Ruf der »leichten Unterhaltung« loswerden konnte. Folglich sah es für Musicals ebenfalls schlecht aus. Sie mischten sich erst in den 1950er Jahren spärlich unter das Repertoire. Sie galten damals – wie teilweise heute noch – als wenig anspruchsvolle Weiterentwicklung der Operette. Dies entspricht jedoch nur in Teilen der Wahrheit. Aktive Theatermachende und führende Kulturfunktionäre des Nationalsozialismus blieben nach dem Krieg häufig in einflussreichen Positionen und nutzten ihre Macht, um Einfluss auf die Stückauswahl auszuüben. Queere Themen hatten es somit schwer, ihren Weg zurück auf die Bühnen zu finden. Nicht zuletzt hatte auch die musikwissenschaftliche Auseinandersetzung in Folge der Philosophie Theodor W. Adornos in der Nachkriegszeit einen großen Einfluss auf die allgemeine Wahrnehmung von E- und U-Kultur, die bis heute einen eher abwertenden Blick auf Musicals hält. Sie wurden maßgeblich im Kontext leichter Unterhaltung gesehen und nicht als wichtige Wegbegleiter oder Lehrstücke zu komplexen Themen, wie es La Cage aux Folles zweifelsohne ist. Dass ein großes Musical in Deutschland heute in derart opulenter Besetzung, mit Tanzensemble, Chor und großem Orchester aufgeführt werden kann, ist nur durch die Mittel eines subventionierten Theaterbetriebs möglich. Dank seines einmaligen Theaterförderungssystems ist Deutschland damit hinsichtlich der Größe und Menge an Produktionsbeteiligten heutzutage sogar dem Broadway voraus. Denn auch dort ist die stetige Verkleinerung von Orchester und Ensemble – aus finanziellen Gründen – hör- und sichtbar. Dass La Cage aux Folles heute an einem subventionierten Haus wie der Komischen Oper Berlin inszeniert werden kann, zeugt von der Weiterentwicklung des Fördersystems seit der Zeit des Nationalsozialismus.
»Und wann immer ich merk’: ich geb’ grad meinen Platz in der Welt beinah auf, mach ich einfach noch viel mehr Mascara auf mein schlaffes Wimperchen drauf.«
Von den Anfängen des Broadways im Jahr 1866 bis in die 1960er Jahre wurde Homosexualität auf der Musicalbühne nicht thematisiert. Der Prozess begann 1969 mit Aufhebung des Hays Codes – einem Verbot von sichtbarer Homo-
sexualität – und der Entwicklung von eingearbeitetem Subtext in Bezug auf spezifisch homosexuelle Handlungen, welche im Musical zuerst in der Szene des Off-Off-Broadways in den 1970er Jahren behandelt wurden. Off-Off-Broadway wurde die kleinste Einheit der Broadway-Szene genannt, die sich durch ihre geringen Zuschauendenplätze auszeichnete. Seit 1958 verstand sich das Off-Off-Theater als experimentelle und anti-kommerzielle Strömung. Mit der Aufnahme homosexueller Themen wurden Figuren der Community in Off-Off-Broadway-Produktionen weniger klischeehaft dargestellt, beziehungsweise nicht darauf reduziert. Harvey Fierstein arbeitete in der Szene des Off-Off-Broadways und auch des Off-Broadways (eine weitere Abspaltung der Broadwayszene, mit kleineren Veranstaltungsorten als die Broadway-Häuser, jedoch größer als der Off-Off-Broadway), bevor La Cage aux Folles auf der großen Broadway-Bühne zum Erfolg wurde. Seine Theaterstückreihe Torch Song Trilogy aus dem Jahr 1982 thematisierte das Leben eines jüdischen, homosexuellen Mannes, der als Drag-Queen in den 1970er und 80er Jahren in New York lebte. La Cage aux Folles übernahm aus Fiersteins Torch Song Trilogy eine Sequenz, in welcher sich die Hauptfigur für seinen Auftritt als Drag-Queen fertig macht. Aus dem simplen Vorgang des Schminkens wird eine Hymne an die positive Wirkung von Drag. Für viele Dragkünstler*innen birgt bereits der Prozess der Transformation in sich ein Hochgefühl. Eine Verwandlung in ein anderes Wesen, erfüllt von einer Energie, wenn in der übersteigerten Darstellung eine Kunstfigur entsteht. »Mascara« stellt diese Verwandlung nicht nur optisch dar, sondern sie wird in Musik und Liedtext auch zum Ausdruck gebracht: Identität und Kreativität vereinen sich zu einem Ausdruck von Persönlichkeit – mit jedem Pinselstrich beginnt Albin, sich selbstbewusster und sicherer zu fühlen. Er beginnt, wieder an sich zu glauben.
sexualität – und der Entwicklung von eingearbeitetem Subtext in Bezug auf spezifisch homosexuelle Handlungen, welche im Musical zuerst in der Szene des Off-Off-Broadways in den 1970er Jahren behandelt wurden. Off-Off-Broadway wurde die kleinste Einheit der Broadway-Szene genannt, die sich durch ihre geringen Zuschauendenplätze auszeichnete. Seit 1958 verstand sich das Off-Off-Theater als experimentelle und anti-kommerzielle Strömung. Mit der Aufnahme homosexueller Themen wurden Figuren der Community in Off-Off-Broadway-Produktionen weniger klischeehaft dargestellt, beziehungsweise nicht darauf reduziert. Harvey Fierstein arbeitete in der Szene des Off-Off-Broadways und auch des Off-Broadways (eine weitere Abspaltung der Broadwayszene, mit kleineren Veranstaltungsorten als die Broadway-Häuser, jedoch größer als der Off-Off-Broadway), bevor La Cage aux Folles auf der großen Broadway-Bühne zum Erfolg wurde. Seine Theaterstückreihe Torch Song Trilogy aus dem Jahr 1982 thematisierte das Leben eines jüdischen, homosexuellen Mannes, der als Drag-Queen in den 1970er und 80er Jahren in New York lebte. La Cage aux Folles übernahm aus Fiersteins Torch Song Trilogy eine Sequenz, in welcher sich die Hauptfigur für seinen Auftritt als Drag-Queen fertig macht. Aus dem simplen Vorgang des Schminkens wird eine Hymne an die positive Wirkung von Drag. Für viele Dragkünstler*innen birgt bereits der Prozess der Transformation in sich ein Hochgefühl. Eine Verwandlung in ein anderes Wesen, erfüllt von einer Energie, wenn in der übersteigerten Darstellung eine Kunstfigur entsteht. »Mascara« stellt diese Verwandlung nicht nur optisch dar, sondern sie wird in Musik und Liedtext auch zum Ausdruck gebracht: Identität und Kreativität vereinen sich zu einem Ausdruck von Persönlichkeit – mit jedem Pinselstrich beginnt Albin, sich selbstbewusster und sicherer zu fühlen. Er beginnt, wieder an sich zu glauben.
»Ja guckt, aber guckt aus and’ren Perspektiven«
Das Schönste und zugleich Tragischste am Theater ist die Vergänglichkeit einer Theatervorstellung. Tragisch – da wir Menschen uns stets an Kontinuitäten im Leben klammern, schön – da wir stetig nach neuen Erkenntnissen und Wissen streben. Gerade dieses offene Geheimnis des Theaters kann dafür sorgen, dass die Entwicklung des Musicals nie stehen bleibt. La Cage aux Folles machte den Weg frei für weitere Musicals mit queerem Inhalt. Zu den weiteren erfolgreichen Stücken gehören unter anderem Fun Home, Hedwig and the Angry Inch, Falsettos und Avenue Q. Auffällig ist die Vielzahl von Musicals mit Fokus auf die Problematik des queeren Lebens und queerer Identitäten, wie es auch in La Cage aux Folles der Fall ist. Nach wie vor ist es von großer Wichtigkeit, auf Missstände aufmerksam zu machen und sie zu verhandeln – den Diskurs fortzuführen. Neben aktiver Thematisierung und Auseinandersetzung gibt es jedoch auch die große Chance, neue Musical-stoffe zu erarbeiten, in denen queere Identitäten als normale Lebensform dargestellt werden. Erstrebenswert wäre es, neuen Erarbeitungen, aber auch bereits bestehenden Stoffen, die jene Inhalte bedienen, einen Platz in den großen staatlich geförderten Theatern zu geben. Figuren wie Georges und Albin sollten weiterhin bestehen bleiben. Jedoch könnten sie in eine andere Handlung eingewebt werden, die sich mit allen Aspekten der Gesellschaft auseinandersetzt und so durch Sichtbarkeit der Normalität vielfältiger Identitäten auf der Bühne mehr Akzeptanz schafft. Denn das geht uns alle etwas an.
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1. Mai 2024
Wir feiern Magnus Hirschfeld!
Und welches Stück könnte besser zum Anliegen des neuen Berliner Gedenktags für Magnus Hirschfeld passen? Wir zeigen »La Cage aux Folles« am 14. Mai 2024 im Schillertheater. Das Stück mit dem Jerry Herman einen Klassiker des Musical-Genres mit einer Empowerment-Hymne schuf, die nicht nur der queeren Szene die Kraft zum Kampf für mehr Offenheit und Gerechtigkeit gab. Inszeniert von Barrie Kosky wird das Stück zu einem immer gültigen Plädoyer für den Mut, zu sich selbst und zueinander zu stehen!« [Ko-Intendanz Susanne Moser und Philip Bröking]
Am 14. Mai begeht das Land Berlin erstmals den Magnus Hirschfeld Tag. Doch wer war Magnus Hirschfeld? Obwohl er international für seine großen Verdienste immer wieder gefeiert wird und er für die Regenbogenhauptstadt von großer Bedeutung ist, ist diese herausragende historische Persönlichkeit in Deutschland kaum bekannt. Mit dem landesweiten Magnus Hirschfeld Tag möchte der Berliner Senat das gemeinsam mit der queeren Community und der Stadtgesellschaft ändern.
Wir sind dabei und unterstützen Alfonso Pantisano, Queerbeauftragter des Landes Berlin, und #Magnus2024 und feiern besonders mit jeder Vorstellung von »La Cage aux Folles« die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt!
Am 14. Mai begeht das Land Berlin erstmals den Magnus Hirschfeld Tag. Doch wer war Magnus Hirschfeld? Obwohl er international für seine großen Verdienste immer wieder gefeiert wird und er für die Regenbogenhauptstadt von großer Bedeutung ist, ist diese herausragende historische Persönlichkeit in Deutschland kaum bekannt. Mit dem landesweiten Magnus Hirschfeld Tag möchte der Berliner Senat das gemeinsam mit der queeren Community und der Stadtgesellschaft ändern.
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#KOBLaCage
30. Januar 2023
Hier fliegen die Federn, das Lametta und die Beine! Die Komische Oper hat mit Barrie Koskys Inszenierung von »La Cage aux Folles« wieder einen Knaller im Spielplan ... Herrlich witzige Dialoge, kreischbunte Kostüme (Klaus Bruns), die Bühne (Rufus Didwiszus) reich an Penissen, ein Rausch der Sinne! Stefan Kurt spielt die Diva Zaza hinreißend beleidigt mit Säuseln, Schimpfen, Pöbeln. … Das Ensemble spielt unfassbar mitreißend, Jubel ohne Ende!
Liebesleid und Sinnesrausch im Narrenkäfig
Martina Hafner, B.Z.
Martina Hafner, B.Z.
#KOBLaCage
30. Januar 2023
Für Kosky und den Choreografen Otto Pichler lassen sich daraus pompöse, euphorische, atemberaubende Tanzszenen entwickeln, für die Klaus Bruns hinreißende Kostüme entworfen hat. Ob steppend, schmissig oder feuchtfröhlich, immer verbreiten die tanzenden Paradiesvögel rasant, schillernd und akrobatisch hemmungslose Lebenslust und grenzüberschreitenden Hedonismus.
Mehr als »Ich bin, was ich bin«
Irene Bazinger, Berliner Zeitung
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#KOBLaCage
29. Januar 2023
With this production, Kosky has turned his former opera house into an inviting place to perch for an evening. It’s the giddiest, most thrilling, most fabulous show in town.
»La Cage Aux Folles« brightens up Berlin
AJ Goldmann, The New York Times
AJ Goldmann, The New York Times
#KOBLaCage
29. Januar 2023
Ein praller Abend für mehr Toleranz.
Paradiesvögel im Tollhaus
Peter Zander, Berliner Morgenpost
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#KOBLaCage