© Jan Windszus Photography
Das Prinzip Salome
Ist Salome eine femme fatale? Ein Vamp? Eine Lolita? Eine die mit den Begierden anderer spielt? Nichts von all dem, sagt Evgeny Titov, das sind alles bloße Projektionen. Sehen muss man in ihr eine Ungeformte, eine Suchende ohne Ziel – bis sie Jochanaan trifft, in dessen Blick sie sich selbst entdeckt und erkennt. Titovs Inszenierung der Oper Salome von Richard Strauss ist keine psychologische Charakterstudie, keine Deutung der dunklen Seite romantischer Liebe. Titov eröffnet einen radikalen Blick auf Salome: Sie ist ein Prinzip, das Liebe als Offenbarung des eigenen Ichs – und noch vielmehr: seiner unheilvollen Abgründe begreift. Regisseur Evgeny Titov im Gespräch über eine Urknalltheorie der Liebe...
Ich fange gleich mal mit der schwierigsten Frage an. Du hast einmal gesagt, dass man ein Stück oder eine Oper, um sie im Kern zu treffen, in einem Satz zusammenfassen können müsse. Also: Worum geht es in Salome?
Evgeny Titov: O ja, das habe ich mal gesagt. Na gut. Also: »Man kann sich nur in der Liebe wirklich kennenlernen.« Oder: »Man kann sein wirkliches Ich nur in einer abgründigen Liebe kennenlernen.« So könnte der Satz lauten. Vielleicht muss es eine wahnsinnige Liebe sein; es gibt bestimmt äußerlich harmonische Arten der Liebe, bei denen man nicht zum wirklichen Ich vorstößt. Aber die wahre Liebe aktiviert einen so, dass man sich selbst kennenlernen kann. Der Satz könnte auch heißen: »Man weiß, was man ist, nur mit dem Anderen.« Man weiß nie selber, was man selber ist. Man braucht den Anderen. Die Liebe macht, dass man zu einem Gesicht kommt, zu seinem wahren Gesicht. Am Ende der Oper kommt Salome zu ihrem Gesicht. Sie weiß jetzt, wer sie ist.
Evgeny Titov: O ja, das habe ich mal gesagt. Na gut. Also: »Man kann sich nur in der Liebe wirklich kennenlernen.« Oder: »Man kann sein wirkliches Ich nur in einer abgründigen Liebe kennenlernen.« So könnte der Satz lauten. Vielleicht muss es eine wahnsinnige Liebe sein; es gibt bestimmt äußerlich harmonische Arten der Liebe, bei denen man nicht zum wirklichen Ich vorstößt. Aber die wahre Liebe aktiviert einen so, dass man sich selbst kennenlernen kann. Der Satz könnte auch heißen: »Man weiß, was man ist, nur mit dem Anderen.« Man weiß nie selber, was man selber ist. Man braucht den Anderen. Die Liebe macht, dass man zu einem Gesicht kommt, zu seinem wahren Gesicht. Am Ende der Oper kommt Salome zu ihrem Gesicht. Sie weiß jetzt, wer sie ist.
Salome
Musikdrama in einem Aufzug [1905]
Libretto vom Komponisten
nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung in deutscher Übersetzung von Hedwig Lachmann
Premiere am 22. November 2025
Aber wie kommt da der Tod mit ins Spiel? In der Oper singt Salome in ihrem Schlussgesang: »Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes«.
Evgeny Titov: Weil der Tod das größte Geheimnis von allen ist. Wir können ihn nicht erleben. Wir wissen nicht, wie es ist, tot zu sein. Beim Übergang vom Leben zum Nicht-Leben ist man auf einmal weg, und das ist ein unergründliches Geheimnis. Aber wir wissen, wie es ist, verliebt zu sein. Doch Salome sagt hier, dass das Geheimnis der Liebe noch größer ist. Liebe kann wie ein Jahr im Tod sein. Und obwohl Liebe ein so offensichtlicher Prozess ist, den wir ständig erleben, können wir ihn trotzdem nicht begreifen, weil er noch krasser ist als der Tod. Das Geheimnis der Liebe ist noch größer als das größte Geheimnis.
Evgeny Titov: Weil der Tod das größte Geheimnis von allen ist. Wir können ihn nicht erleben. Wir wissen nicht, wie es ist, tot zu sein. Beim Übergang vom Leben zum Nicht-Leben ist man auf einmal weg, und das ist ein unergründliches Geheimnis. Aber wir wissen, wie es ist, verliebt zu sein. Doch Salome sagt hier, dass das Geheimnis der Liebe noch größer ist. Liebe kann wie ein Jahr im Tod sein. Und obwohl Liebe ein so offensichtlicher Prozess ist, den wir ständig erleben, können wir ihn trotzdem nicht begreifen, weil er noch krasser ist als der Tod. Das Geheimnis der Liebe ist noch größer als das größte Geheimnis.
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Aber ist es denn tatsächlich Liebe, die Salome gegenüber Jochanaan empfindet? Es ist ja eine Liebe, die – sagen wir: sehr weit geht.
Evgeny Titov: Wenn sie ihn nicht lieben würde, wäre diese Oper nicht geschrieben worden. Es ist sicherlich keine Liebe in einem gebräuchlichen kleinen Sinne. Salome spürt intuitiv, dass dieser Mensch derjenige für sie sein wird, durch den sie zum Ausdruck kommen kann, durch den sie zeigen kann, was sie ist. Nach dreißig Sekunden weiß sie: »Ich bin verliebt.«
»… in deinen Leib.«
Evgeny Titov: Ja, natürlich: »Ich bin verliebt in deinen Leib«, aber es geht ihr dabei nicht einfach nur um Sex. Sie ist sofort in alles verliebt, in alles, Haare, Zähne, Socken, was weiß ich. Sie hört die Stimme von Jochanaan und weiß, dass da etwas ganz Besonderes ist. Bis jetzt weiß sie nicht, was sie sucht, und dieser Mensch wird ihr sagen, was sie ist. Und dann spürt sie plötzlich die Welt und das Nichts, den kleinsten Staub und alle Sterne zusammen, alles gleichzeitig, alles in einem Moment. Das sagt diese Musik: »Ich habe deinen Mund geküsst, ich habe ihn geküsst, deinen Mund« usw. Da passiert diese Explosion, dieser Urknall, durch den Welten entstehen. Und was war vor dem Urknall? Nichts. Die Liebe ist wie der Urknall: Es entsteht alles aus dem Nichts. Klar, vielleicht hat man davor auch schon 40 Jahre gelebt und gegessen und geschlafen und gedacht, man habe Emotionen. Aber das Gefühl nach der Liebe ist – bumm!
Das entfernt sich durchaus von einer geläufigen Interpretation der Salome als einer femme fatale, die Macht über die Männer ausübt, mit ihnen spielt, mit Narraboth und Herodes, und am Ende dann auch mit Jochanaan.
Evgeny Titov: Damit habe ich nichts zu tun. Klar, man kann auch sagen, Salome ist eine alte Frau oder sie ist eine Zwölfjährige, sie ist eine femme fatale oder eine Lolita. Das hängt vom Wunsch der anderen ab, dies oder jenes in ihr zu sehen.
Evgeny Titov: Wenn sie ihn nicht lieben würde, wäre diese Oper nicht geschrieben worden. Es ist sicherlich keine Liebe in einem gebräuchlichen kleinen Sinne. Salome spürt intuitiv, dass dieser Mensch derjenige für sie sein wird, durch den sie zum Ausdruck kommen kann, durch den sie zeigen kann, was sie ist. Nach dreißig Sekunden weiß sie: »Ich bin verliebt.«
»… in deinen Leib.«
Evgeny Titov: Ja, natürlich: »Ich bin verliebt in deinen Leib«, aber es geht ihr dabei nicht einfach nur um Sex. Sie ist sofort in alles verliebt, in alles, Haare, Zähne, Socken, was weiß ich. Sie hört die Stimme von Jochanaan und weiß, dass da etwas ganz Besonderes ist. Bis jetzt weiß sie nicht, was sie sucht, und dieser Mensch wird ihr sagen, was sie ist. Und dann spürt sie plötzlich die Welt und das Nichts, den kleinsten Staub und alle Sterne zusammen, alles gleichzeitig, alles in einem Moment. Das sagt diese Musik: »Ich habe deinen Mund geküsst, ich habe ihn geküsst, deinen Mund« usw. Da passiert diese Explosion, dieser Urknall, durch den Welten entstehen. Und was war vor dem Urknall? Nichts. Die Liebe ist wie der Urknall: Es entsteht alles aus dem Nichts. Klar, vielleicht hat man davor auch schon 40 Jahre gelebt und gegessen und geschlafen und gedacht, man habe Emotionen. Aber das Gefühl nach der Liebe ist – bumm!
Das entfernt sich durchaus von einer geläufigen Interpretation der Salome als einer femme fatale, die Macht über die Männer ausübt, mit ihnen spielt, mit Narraboth und Herodes, und am Ende dann auch mit Jochanaan.
Evgeny Titov: Damit habe ich nichts zu tun. Klar, man kann auch sagen, Salome ist eine alte Frau oder sie ist eine Zwölfjährige, sie ist eine femme fatale oder eine Lolita. Das hängt vom Wunsch der anderen ab, dies oder jenes in ihr zu sehen.
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Aber was ist denn Salome für dich, bevor sie sich selbst entdeckt?
Evgeny Titov: Sie ist eine Suchende, eine Ungeformte, eine wahnsinnig Wollende, die eine unfassbare Kraft und den riesigen Wunsch hat, etwas zu entdecken, aber sie weiß nicht, wohin mit dieser Kraft. Für mich ist das nicht psychologisch, ich porträtiere kein junges Mädchen. Ich sehe in ihr eher eine Substanz oder ein Prinzip. Für etwas, was in uns ist, wenn man jung ist. Man sagt: »Ich will dies, ich will das«, aber man weiß nicht, wohin damit, das Bedürfnis ist noch nicht formuliert. Es sind Impulse, es sind Wünsche, es sind Reaktionen. Deswegen ist sie so launisch. Sie ist noch vor der Formung, sie ist eine Art Materie, ein Pool von Eindrücken und Emotionen.
Die anderen Figuren im Stück sehen aber etwas in ihr.
Evgeny Titov: Wir sehen immer alle in allem etwas. Wir sind alle Projektionsflächen für die anderen. Ich möchte aber erst einmal diese Art der Wahrnehmung, der Bedeutungsaufladung von Salome wegnehmen – man wird sie natürlich trotzdem interpretieren. Man wird sich zum Beispiel fragen: Ist sie hübsch oder nicht? Doch das ist eine Wahrnehmung, die in den anderen stattfindet, nicht in Salome. Denn wir sind nie das, was wir sind, außer, wenn wir uns selber kennenlernen; wenn man in seinen Abgrund guckt. Dann bekommt man einen Spiegel vorgehalten, und das ist es, was Salome passiert.
Warum ist es ausgerechnet Jochanaan, der sie zu ihrer Selbstentdeckung finden lässt? Könnte es nicht auch Narraboth sein, immerhin ein Syrer, der auch außerhalb der dekadenten Hofgesellschaft von Herodes steht?
Evgeny Titov: Zum einen muss es nicht wirklich mit irgendwelchen Qualitäten zu tun haben, dass etwas Bestimmtes ausgelöst wird. Ich kann etwa einem Sänger wochenlang eine Situation erklären, und er versteht sie nicht. Dann sagt sein Mitbewohner etwas zu ihm, und plötzlich versteht er alles. Das liegt aber nicht daran, dass der Mitbewohner es besser erklärt hat. Es ist ein Effekt von Sammlung, ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. So ein Tropfen könnte auch Jochanaan für Salome sein. Zum anderen aber ist es auch so, dass nur unterschiedliche Elemente zu großen Explosionen führen. Wasser und Wasser knallt nicht. Je größer der Kontrast, umso größer ist die Explosion, umso größer die Katastrophe, die kommt. Und Jochanaan stellt als großer Verweigerer und Nein-Sager schon ein sehr konträres Element zu Salome dar.
Evgeny Titov: Sie ist eine Suchende, eine Ungeformte, eine wahnsinnig Wollende, die eine unfassbare Kraft und den riesigen Wunsch hat, etwas zu entdecken, aber sie weiß nicht, wohin mit dieser Kraft. Für mich ist das nicht psychologisch, ich porträtiere kein junges Mädchen. Ich sehe in ihr eher eine Substanz oder ein Prinzip. Für etwas, was in uns ist, wenn man jung ist. Man sagt: »Ich will dies, ich will das«, aber man weiß nicht, wohin damit, das Bedürfnis ist noch nicht formuliert. Es sind Impulse, es sind Wünsche, es sind Reaktionen. Deswegen ist sie so launisch. Sie ist noch vor der Formung, sie ist eine Art Materie, ein Pool von Eindrücken und Emotionen.
Die anderen Figuren im Stück sehen aber etwas in ihr.
Evgeny Titov: Wir sehen immer alle in allem etwas. Wir sind alle Projektionsflächen für die anderen. Ich möchte aber erst einmal diese Art der Wahrnehmung, der Bedeutungsaufladung von Salome wegnehmen – man wird sie natürlich trotzdem interpretieren. Man wird sich zum Beispiel fragen: Ist sie hübsch oder nicht? Doch das ist eine Wahrnehmung, die in den anderen stattfindet, nicht in Salome. Denn wir sind nie das, was wir sind, außer, wenn wir uns selber kennenlernen; wenn man in seinen Abgrund guckt. Dann bekommt man einen Spiegel vorgehalten, und das ist es, was Salome passiert.
Warum ist es ausgerechnet Jochanaan, der sie zu ihrer Selbstentdeckung finden lässt? Könnte es nicht auch Narraboth sein, immerhin ein Syrer, der auch außerhalb der dekadenten Hofgesellschaft von Herodes steht?
Evgeny Titov: Zum einen muss es nicht wirklich mit irgendwelchen Qualitäten zu tun haben, dass etwas Bestimmtes ausgelöst wird. Ich kann etwa einem Sänger wochenlang eine Situation erklären, und er versteht sie nicht. Dann sagt sein Mitbewohner etwas zu ihm, und plötzlich versteht er alles. Das liegt aber nicht daran, dass der Mitbewohner es besser erklärt hat. Es ist ein Effekt von Sammlung, ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. So ein Tropfen könnte auch Jochanaan für Salome sein. Zum anderen aber ist es auch so, dass nur unterschiedliche Elemente zu großen Explosionen führen. Wasser und Wasser knallt nicht. Je größer der Kontrast, umso größer ist die Explosion, umso größer die Katastrophe, die kommt. Und Jochanaan stellt als großer Verweigerer und Nein-Sager schon ein sehr konträres Element zu Salome dar.
© Jan Windszus Photography
Hast du denn eine Erklärung dafür, warum Jochanaan nicht mitexplodiert?
Evgeny Titov: Weiß man das? Vielleicht explodiert er auch. Man weiß doch nicht, was sie bei ihm auslöst. Vielleicht ist er einer, der sein ganzes Leben gegen Versuchung und Verführung kämpft, weil gerade er am gefährdetsten ist. Ich glaube jedenfalls nicht, dass er kalt ist. Aber auch, wenn es so wäre … Wir lieben nicht nur, weil man zurückgeliebt wird. Für sie spielt das keine Rolle. Sie ist am Ende nicht enttäuscht, sie ist sogar glücklich. Keine andere Frau wird Jochanaan berühren. Kein anderer Mensch wird ihn küssen, er gehört nur ihr. Er ist ihr ultimatives und absolutes Eigentum. »Ich habe dich ganz. Ich habe dich für mich genommen. Ich habe dir dein Leben genommen. Du gehörst mir.« Eine Frau wie Herodias mit ihren drei oder zwanzig oder wie vielen Ehemännern wird so etwas nie erleben. Für Salome jedenfalls wird es nicht besser als jetzt und hier, am Ende dieser Oper. Sie wird nie größere Gefühle haben als jetzt, es ist der schönste Moment. Und danach wird sie tot sein. Dieses Gefühl wird also nie untergehen, es wird nie zur Enttäuschung. Es wird sich nicht am nächsten Dienstag ein bisschen weniger anfühlen, es wird immer auf dieser ultimativen Höhe bleiben. Und dann Black. Es ist das Letzte, was das Gehirn speichert. Wie genial, wie groß ist das denn? Im letzten Moment bekommt Salome sich selbst, sie bekommt ihr Ich. Sie weiß, was sie ist. Sie weiß, wozu man lebt. Und der Grund, warum wir leben, ist, auch das zu erleben, was sie erlebt.
Du inszenierst das zweite Mal an der Komischen Oper Berlin. Das erste Mal hast du George Enescus Œdipe auf die Bühne gebracht, ebenfalls mit einem Bühnenbild von Rufus Didwiszus. Gibt es für dich einen Zusammenhang zwischen beiden Werken, Salome und Œdipe?
Evgeny Titov: Ja, bei Œdipe war die Bühne in Silber, und bei Salome ist sie in Gold. Nein, es sind natürlich die Stoffe, die in beiden Fällen das Größte und Spannendste verhandeln, nämlich die existentiellsten Fragen des menschlichen Daseins. In Œdipe lautete die Frage: Wer ist dein größter Feind? Und die Antwort war: Das bist du selber. Es gibt kein Schicksal. Du bist dein Schicksal. Bei Salome geht es nicht um Schicksal, sie ist in anderer Hinsicht existentiell. Es gibt viele Opern, die sich mit Familienproblemen beschäftigen, mit bürgerlichem Wahnsinn, mit der Frage, wer mit wem geschlafen hat, wer wen entdeckt, umgebracht, verloren, vergessen oder nicht anerkannt hat. Das sind im Grunde Boulevardgeschichten. Ich aber liebe die Opern mit den großen existentiellen Fragen. Und wenn ich eine dritte Oper an der Komischen Oper Berlin machen sollte, wird auch sie genauso groß und existentiell sein.
Evgeny Titov: Weiß man das? Vielleicht explodiert er auch. Man weiß doch nicht, was sie bei ihm auslöst. Vielleicht ist er einer, der sein ganzes Leben gegen Versuchung und Verführung kämpft, weil gerade er am gefährdetsten ist. Ich glaube jedenfalls nicht, dass er kalt ist. Aber auch, wenn es so wäre … Wir lieben nicht nur, weil man zurückgeliebt wird. Für sie spielt das keine Rolle. Sie ist am Ende nicht enttäuscht, sie ist sogar glücklich. Keine andere Frau wird Jochanaan berühren. Kein anderer Mensch wird ihn küssen, er gehört nur ihr. Er ist ihr ultimatives und absolutes Eigentum. »Ich habe dich ganz. Ich habe dich für mich genommen. Ich habe dir dein Leben genommen. Du gehörst mir.« Eine Frau wie Herodias mit ihren drei oder zwanzig oder wie vielen Ehemännern wird so etwas nie erleben. Für Salome jedenfalls wird es nicht besser als jetzt und hier, am Ende dieser Oper. Sie wird nie größere Gefühle haben als jetzt, es ist der schönste Moment. Und danach wird sie tot sein. Dieses Gefühl wird also nie untergehen, es wird nie zur Enttäuschung. Es wird sich nicht am nächsten Dienstag ein bisschen weniger anfühlen, es wird immer auf dieser ultimativen Höhe bleiben. Und dann Black. Es ist das Letzte, was das Gehirn speichert. Wie genial, wie groß ist das denn? Im letzten Moment bekommt Salome sich selbst, sie bekommt ihr Ich. Sie weiß, was sie ist. Sie weiß, wozu man lebt. Und der Grund, warum wir leben, ist, auch das zu erleben, was sie erlebt.
Du inszenierst das zweite Mal an der Komischen Oper Berlin. Das erste Mal hast du George Enescus Œdipe auf die Bühne gebracht, ebenfalls mit einem Bühnenbild von Rufus Didwiszus. Gibt es für dich einen Zusammenhang zwischen beiden Werken, Salome und Œdipe?
Evgeny Titov: Ja, bei Œdipe war die Bühne in Silber, und bei Salome ist sie in Gold. Nein, es sind natürlich die Stoffe, die in beiden Fällen das Größte und Spannendste verhandeln, nämlich die existentiellsten Fragen des menschlichen Daseins. In Œdipe lautete die Frage: Wer ist dein größter Feind? Und die Antwort war: Das bist du selber. Es gibt kein Schicksal. Du bist dein Schicksal. Bei Salome geht es nicht um Schicksal, sie ist in anderer Hinsicht existentiell. Es gibt viele Opern, die sich mit Familienproblemen beschäftigen, mit bürgerlichem Wahnsinn, mit der Frage, wer mit wem geschlafen hat, wer wen entdeckt, umgebracht, verloren, vergessen oder nicht anerkannt hat. Das sind im Grunde Boulevardgeschichten. Ich aber liebe die Opern mit den großen existentiellen Fragen. Und wenn ich eine dritte Oper an der Komischen Oper Berlin machen sollte, wird auch sie genauso groß und existentiell sein.
#KOBSalome
23. November 2025
Generalmusikdirektor James Gaffigan spitzt den Klang mit dem Orchester der Komischen Oper... zu. Von den aufsteigenden Klarinetten des ersten Takts an flirrt und gleißt es – mit einem klaren Akzent auf Blech und Schlagwerk. Hörner, Trompeten, Posaunen und Tuben klingen hier schmeichelnd sämig, dann wieder schneidend brutal… Aber die zentralen Momente erblühen plastisch und klar oder knallen einem beeindruckend um die Ohren – und erzählen so von einer Gewalt, die auf der Bühne mit teils drastischen Bildern Wirklichkeit wird.
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Salome-Premiere: Ein blutiger Traum zwischen Liebe und Wahnsinn
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23. November 2025
Ein bestürzender und hochspannender »Salome«-Abend: Regisseur Evgeny Titov lässt die grandiose Nicole Chevalier ohne Kopf auftreten. Generalmusikdirektor James Gaffigan setzt auf eine glanzvoll rauschende und raunende Klangtextur der revolutionären Partitur.
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Kahlschlag aus Liebe
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23. November 2025
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Was für eine exzellente Künstlergemeinschaft hier zusammenkommt. Günter Papendell untermauert erneut seine Stellung als Star des Ensembles... Angemessen geifernd und grellstimmig gerät Matthias Wohlbrecht der Herodes, zur auratischen Erscheinung macht Karolina Gumos Herodias... Agustín Gómez’ Narraboth verschmachtet sich berührend nach Salome, eindringlich warnt Susan Zarrabis Page vor dem drohenden Unheil. Wie Nicole Chevalier die mörderische Titelpartie unter ihrer weißen Schutzhaube bewältigt, nötigt Respekt ab, wie sie es schafft, der Gesichtslosen dennoch ein Profil zu verleihen, brillant in der Bewegungs-Choreografie, mit enormem musikalischem Ausdrucksspektrum.
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Frederik Hanssen, Der Tagesspiegel, 23.11.2025
»Salome« feiert Premiere: Brillante Personenregie und Orchesterwucht an der Komischen Oper Berlin
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