Mit Betonung auf Rock

Ein Gespräch mit Dirigent Koen Schoots über bodenständige Rockmusik, lange Nachhallzeiten und ikonische Pink Floyd-T-Shirts
Jesus Christ Superstar zählt zu den erfolgreichsten Stücken von Andrew Lloyd Webber. Wie ordnest Du das Werk innerhalb seines Œuvres ein?

Koen Schoots: Es ist schon deshalb besonders, weil es erst das zweite Stück ist, das er komponiert hat. Sein erstes Stück – Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat – war ja eigentlich ein Musical für die Schule und ist durch den großen Erfolg von Jesus Christ Superstar erst im Nachhinein überarbeitet und vergrößert worden. Die Kraft von Jesus Christ Superstar und das, wenn man so will, Untypische für Lloyd Webber liegen darin, dass es nicht unter dem Einfluss von irgendwelchen Producern entstanden ist und es keinen kommerziellen Druck dahinter gab. Von daher ist es, wie man so schön sagt, aus dem Bauch heraus geschrieben worden, ohne Rücksicht auf bestimmte Bühnengegebenheiten. Man merkt das auch am Stück: Das ist alles sehr filmschnittartig, Szenen folgen aufeinander, ohne dass es Übergänge gibt. Das Wichtigste ist aber – und daran arbeite ich auch in meiner Interpretation –, dass es kein Musical ist, sondern eine Rockoper – mit Betonung auf Rock. Das sieht man schon an der Original-Aufnahme, in der Ian Gillan, der Leadsänger von Deep Purple, den Jesus gesungen hat. Deswegen haben wir auch richtige Rock- und nicht unbedingt Musicalstim- men gecastet. Es gibt mittlerweile sehr viele Produktionen von Jesus Christ Superstar, in denen das Stück musikalisch ein bisschen verwässert wird und in einen sentimentalen Musicalduktus verfällt. Das möchte ich auf jeden Fall vermeiden. Deswegen spielen wir es recht »heavy« und haben einen Cast und eine Band engagiert, die das Rockmetier beherrschen – aus Respekt für die ursprüngliche Intention. Ich glaube, viele Leute kennen zwar das Stück, aber wissen nicht, dass es an manchen Stellen fast wie Heavy Metal klingt. Ich lasse es genauso spielen.

Jesus Christ Superstar


Gesangstexte von Tim Rice
Musik von Andrew Lloyd Webber

Uraufführung am 12. Oktober 1971
im Mark Hellinger Theatre in New York City
Du hast mit dieser Rockoper bereits einige Erfahrungen sammeln können. Es existiert sogar schon eine Aufnahme aus Wien von Dir …

Koen Schoots: Das war damals sehr spontan: Ein Plattenproduzent kam in die Vorstellung und fand es so toll, dass er die Produktion auf CD verewigen wollte. Daraufhin haben wir drei Shows mitgeschnitten und aus diesen Mitschnitten die besten Takes ausgewählt. Trotzdem gibt es in der finalen Version durchaus ein paar Textfehler, falsche Töne und so weiter. Wir haben diese Fehler bewusst so belassen, denn die Kraft des Stückes liegt in der Rohheit und nicht im Polierten. Natürlich liebe ich auch Lloyd Webbers späte Stücke. Das Phantom der Oper ist ein sehr glatt poliertes Stück, was auf seine Art und Weise großartig ist. Ich habe das auch schon aufgeführt und es hat großen Spaß gemacht. Aber Jesus Christ Superstar hat natürlich eine Rohheit, die ich ebenfalls liebe.
Das Stück war ursprünglich ein reines Konzeptalbum. Ist es nicht sehr schwierig, die dadurch vorhandene Struktur mit ihren brüchigen Übergängen und den Schlag auf Schlag folgenden Songs als Dirigent live umzusetzen?

Koen Schoots: Klar, es gibt auf jeden Fall Zäsuren und das richtige Atmen zwischen den Nummern ist in diesem Stück sehr wichtig. Man kann nicht einfach wie bei einer CD oder einer Langspielplatte von einer Nummer zur anderen weitergehen, wenn man Jesus Christ Superstar live spielt. Man muss eine gewisse Spannung halten. Die Musik liegt oft in der Stille und in der Spannung, die entsteht, wenn man zwischen zwei Stücken oder innerhalb eines Stückes die Länge der Stille bestimmt. Und dann gibt es natürlich die offensichtlichen Applausmomente im Stück, die man dringend braucht, um sich zu erholen.

Nun kommt bei uns noch die Besonderheit hinzu, dass wir das Stück in einem Flughafen-Hangar aufführen. Welche Herausforderungen bringt so ein Ort mit sich?

Koen Schoots: Visuell ist der Raum natürlich unschlagbar. Was aber die musikalische Seite betrifft, ist die größte Herausforderung, die Nachhallzeit zu reduzieren, die die Halle von sich aus mitbringt. Für klassische Musik, also zum Beispiel den MESSIAS in der vergangenen Spielzeit, ist es nicht allzu schlecht, wenn man eine gewisse Nachhallzeit hat. Für Rockmusik gilt das Gesetz: je trockener der Raumklang, desto besser. Der Hall wird bei Rockmusik normalerweise elektronisch erzeugt. Wenn ich bei Jesus Christ Superstar nun mit einem Drumset arbeite, bei dem ein Schlag auf die Snare-Drum eine Nachhallzeit von 12 Sekunden hat, kann das nichts werden. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man das lösen kann: Zum einen hat unsere Tonabteilung mit speziellen Mitteln den Raum akustisch trockener ge- macht. Zum anderen sollte das Publikum aber auch darauf gefasst sein, dass man eine gewisse Lautstärke fahren muss, um den Nachhall-Effekt zu übertönen. So machen es auch Rockbands in großen Arenen: Die spielen zum Teil noch viel lauter als wir. Für mich kann es gerne so laut sein, aber wir wollen es natürlich nicht übertreiben und an unser Publikum denken. Aber es ist und bleibt eine Rockshow, und zur Rockshow gehört auch Lautstärke.

Hast Du eine persönliche Lieblingsstelle in dieser Rockoper?

Koen Schoots: Es gibt Stücke, die von sich aus perfekt sind, egal aus welcher Epoche der Musikliteratur. Dazu gehören zum Beispiel die Matthäus-Passion von Bach oder das Verdi-Requiem. Jesus Christ Superstar ist ein Meisterwerk der Neuzeit, auch wenn man natürlich sagen muss, dass das Stück mittlerweile auch schon 55 Jahre alt ist. Für mich war diese Rockoper immer aus einem Guss geschrieben. Der Fluss des Stückes ist so perfekt, dass ich gar nicht sagen könnte: Die Stelle gefällt mir besonders gut, diese gefällt mir jetzt weniger. Ich finde alles ist genau gesetzt an der Stelle, wo es hingehört. Wenn man dennoch einen Höhepunkt nennen möchte, würde ich wohl »Gethsemane« nennen, den großen Song bzw. die große Arie von Jesus
– eine der besten Rockhymnen und Powerballaden, die jemals geschrieben wurden. Die Melodie nimmt Lloyd Webber dann auch ganz zum Schluss in »John 19:41« wieder auf, wenn das Orchester dieses klassische Nachspiel hat. Hier erklingt die Musik in einer komplett anderen Atmosphäre und Orchestrierung – da ist es dann plötzlich fast wie bei Puccini. Das ist genial gemacht.
Du hast es bereits angesprochen: Die frühen 1970er sind mittler- weile schon über 50 Jahre her. Ist das Stück nicht auch sehr klar mit dieser Zeit verbunden?

Koen Schoots:Die 70er Jahre sind auf jeden Fall sehr präsent, wenn man sich den Text anschaut. Viele stolpern hier gerne mal über die eine oder andere Formulierung, weil sie wahrscheinlich einfach zu jung sind. Jesus Christ Superstar ist in der Umgangssprache der 70er geschrieben, damals war das angesagt. Stellen wie »Hosanna, Hey Sanna, Sanna Sanna Ho« oder auch der be- rühmt-berüchtigte »jaded faded mandarin« ergeben häufig nicht mal einen Sinn. Ich hatte sogar die Möglichkeit, Tim Rice persönlich zu fragen, was der »jaded faded mandarin« bedeutet und war wahnsinnig gespannt auf seine Antwort. Er sagte nur: »It sounded cool« – es klang einfach cool!

Es ist ja nicht nur die Sprache der 70er, sondern auch die Rockmusik selbst, die heute meist als Relikt der Vergangenheit angesehen wird. Mit Blick auf unsere heutige Zeit: Ist Rock mittlerweile tot?

Koen Schoots: Das ist eine schwierige Frage, gerade für so einen alten Rocker wie mich. Grundsätzlich möchte ich Musik gar nicht nach Genres bewerten. Für mich gibt es nur gute oder schlechte Musik. Die Matthäus-Passion liebe ich genauso sehr wie Dark Side of the Moon von Pink Floyd oder eben Jesus Christ Superstar. Das hat alles seine Qualität. Ich glaube nicht, dass Rock tot ist. Es gibt natürlich Entwicklungen in der Unterhaltungsmusik bzw. Popmusik oder wie immer man es nennen möchte. Zum Teil finde ich das sehr spannend, zum Teil denke ich mir auch, mein Gott, es gibt wirklich zu viel KI heutzutage. Das Schöne am Rock ist, dass er einfach so handgemacht und bodenständig daherkommt. Ich glaube, dafür gibt es immer ein Publikum – auch heutzutage. Natürlich ist er nicht mehr so groß, wie er damals mal war, aber das gehört ja auch zum Wandel der Zeit dazu. Als ich letztes Jahr auf einem Konzert vom einstigen Pink Floyd-Gitarristen David Gilmour war, fand ich es dennoch erstaunlich, wie viele junge Leute dabei waren, obwohl da ein 78-jähriger Mann auf der Bühne stand. Natürlich waren auch viele Leute meiner Generation wie ich im Pink Floyd-T-Shirt unterwegs. Aber es gibt offensichtlich auch sehr viele junge Leute, die da total drauf abfahren, weil die Musik einfach ein gewisses Niveau hat und ein gewisses Handwerk erfordert. Alben wie Dark Side of the Moon, The Wall oder Jesus Christ Superstar sind ikonische Meilensteine der Musikgeschichte – das ist zeitlos.

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