Spielwut von Knast bis Klapse

Dagmar Manzel und Max Hopp über Tempo, Sandkästen und die Schauspielerei
Zwei Darsteller – 30 Rollen. Eine besondere Herausforderung?

Dagmar Manzel Es gehört ja zum Urtrieb des Schauspielers, sich verwandeln zu wollen und innerhalb kürzester Zeit in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Aber zugegeben: Im Falle unserer Aufführung von Eine Frau, die weiß, was sie will! sind die blitzschnellen Kostüm- und Figurenwechsel natürlich eine ungewöhnliche Aufgabe – die uns beiden allerdings eine diebische Freude bereitet. Während unserer Probenarbeit schien es mir manchmal so, als ob Max und ich miteinander im Sandkasten spielen und gemeinsame Streiche aushecken – und dabei haben wir uns gegenseitig immer weiter angespornt. Für mich war das ein regelrechtes Schauspiel-Fest!

Max Hopp Besonders spannend fand ich dabei das Experimentieren mit dem Tempo. Wenn eine Farce zu langsam ist, stottert die Komik ab. Und so haben wir ständig ausprobiert, in welcher Geschwindigkeit unsere Dialoge stattfinden müssen, damit die Operette als Zweipersonenstück funktioniert.

Dagmar Manzel Das ist vor allen Dingen notwendig, weil man sich in den Dialogen von Alfred Grünwald nicht verlieren darf. Operette ist kein Strindberg. Der Text sprudelt vor Esprit und ist höchst pointiert geschrieben – und muss dementsprechend auch auf den Punkt gesprochen werden. In den Theaterstücken von Georges Feydeau ist das ähnlich. Aber durch die Musik ist es in der Operette noch einmal eine besondere Herausforderung.

Wo liegen die größten Unterschiede zwischen Musik- und Sprechtheater?

Dagmar Manzel Die notierte Musik ist ein starres Korsett, innerhalb dessen man sich bewegen muss. Auch Sprechtheater ist letzten Endes eine Form von Musik, aber dort sucht man sich als Schauspieler seinen eigenen Rhythmus. Im Musiktheater sind Rhythmus und Tempo bereits vorgegeben – und man muss sich mehr oder weniger daran halten.

Max Hopp Im Sprechtheater kann man zudem viel näher bei sich selbst und der Figur bleiben, die man darstellt. Wenn Musik im Spiel ist, muss man zusätzlich auch noch auf den Dirigenten schauen – es gibt also eine weitere Konzentrationsebene, die man ins Spiel integrieren muss. Dass es eine solche zusätzliche Ebene gibt, die sich nicht auf das Spiel auswirken darf, finde ich allerdings besonders reizvoll am Musiktheater.

Dagmar Manzel Und trotzdem brauche ich als Darstellerin auch im Musiktheater das Gefühl, dass ich ständig improvisieren kann, obwohl man absolute Tempovorgaben hat. Wenn einem dann gelingt, trotz des musikalischen Korsetts Freiräume zu nutzen und zu improvisieren, gibt mir das persönlich den allergrößten Adrenalin-Kick.
Szene aus Eine Frau, die weiß, was sie will
Wo endet das Wort, wo beginnt Musik?

Max Hopp Musik beginnt für mich in dem Moment, wo es Dinge gibt, die man mit Worten nicht mehr ausdrücken kann. Was mich als singender Schauspieler in einer Operette interessiert, ist zu versuchen, eine Szene textlich so weit auf die Spitze zu treiben, dass man den Punkt erreicht, an dem sich Musik entladen muss. Nicht, weil sie da einfach so steht und komponiert ist, sondern weil man in dem Augenblick mit Worten nicht mehr weiterkommt. Dann erreicht man eine Ebene, die mit der inneren Sprache der Gedanken zu tun hat und sich mithilfe von Musik veräußert.

Dagmar Manzel Was ich an der Ebene der Musik besonders spannend finde, ist, dass man eine Figur mit Musik tatsächlich verändern kann. Im Schauspiel kommt Musik oft aus der Büchse und wird dafür benutzt, dramaturgische Löcher zu stopfen oder Atmosphäre zu schaffen. Aber dass du damit ganz grundsätzlich die Haltung einer Figur variieren und verschiedene Schichten der Persönlichkeit einer Figur aufdecken und sichtbar machen kannst – das kann in dieser Form nur das Musiktheater. Man hat mit Musik einfach so unendlich viel mehr Möglichkeiten, mit einem Text zu arbeiten. Einfach nur dadurch, wie man mit dem Gesang oder mit dem Text ansetzt und beide miteinander – oder sogar gegeneinander – in Verbindung setzt.

In Eine Frau, die weiß, was sie will! geht es um Theater im Theater und den Beruf des Schauspielers. Worin liegt die Magie dieses Berufs?

Max Hopp Für mich geht es beim Schauspielen letzten Endes um die Magie, sich über das Darstellen des Anderen selbst näherzukommen. Wir Schauspieler haben das unheimliche Privileg, auf der Bühne verschiedenste Identitäten ausleben zu dürfen. Ich darf all diese Figuren im Theater spielen – von Mönch bis Mörder – und muss dafür nicht in den Knast wandern und werde auch nicht in die Klapsmühle eingewiesen! Dabei zu spüren, wie andere Menschen vielleicht sein könnten, bringt mich mir in den verschiedenen Facetten, die ich selbst in mir trage, ja näher. Darüber entdecke ich mich. Und das ist das Großartige an dem Beruf. Außerdem darf man ewig Kind bleiben. Man darf spielen, die ganze Zeit – und man muss nicht im Büro sitzen und den ganzen Tag auf der Schreibmaschine herumtippen.

Dagmar Manzel Das Theater erlaubt es einem, Träume und Sehnsüchte auszuleben, so dass sie eben keine Träume und Sehnsüchte mehr sind, sondern in dem Moment auf der Bühne Realität werden. Für mich bedeutet es Glückseligkeit und auch eine Form der Reinigung, diese Momente erleben zu können. Es ist dann auch in Ordnung, dass man die Rolle ablegt, wenn die Vorstellung vorbei ist, man nach Hause kommt und nicht mehr an den Abend denkt. Aber wenn ich ganz grundsätzlich das Theater nicht hätte, würde ich wahrscheinlich im richtigen Leben mit vielem nicht umgehen können. Für mich ist das Theater wirklich lebensnotwendig. Und je älter ich werde, desto mehr lerne ich, auf dem Theater loszulassen und eine Figur einfach so zu spielen, wie ich sie für mich machen muss. Ich merke, dass man mit der Zeit beginnt, immer mehr in sich zu ruhen. Ich weiß immer deutlicher, was ich will. Und das ist ein schönes Gefühl.

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