»Im Widerstand gegen die Finsternis«

Interview mit Regisseur Kirill Serebrennikov
Mozart ist sexy, abgründig und zugleich ein großer Humanist – erzählt Regisseur Kirill Serebrennikov im Gespräch. Und auch darüber, wie seine Inszenierung von der Realität eingeholt wurde.
Così fan tutte ist wahrlich nicht der einfachste Mozart-Stoff, den man knacken kann. Was waren die ersten Gedanken zum Stück?

Kirill Serebrennikov Es war meine erste Inszenierung einer Oper von Wolfgang Amadeus Mozart und solche ersten Male sind immer eine Herausforderung. Mozart inszenieren zu dürfen, ist für eine:n Regisseur:in eine große Freude, aber auch eine anspruchsvolle Aufgabe. Anhand der Arbeit an Così fan tutte hatte ich die Möglichkeit, auf recht direkte und zugleich erfüllende Weise die Eigenarten von Mozarts kompositorischer Finesse kennenzulernen. Seine Oper funktioniert als großer musikalischer Mechanismus. Sie ist musikdramaturgisch einfach genial! Das gilt aber für alle drei Opern, die Mozart mit Lorenzo Da Ponte kreierte: Sie sind Meisterstücke der Musikdramaturgie. Kein Wunder, dass man sie gerne als Trilogie aufführt. Deshalb freute ich mich, die Chance zu bekommen, alle drei Opern an der Komischen Oper Berlin inszenieren zu können.

Wie hängen diese drei Opern – Le nozze di Figaro, Don Giovanni und Cosìfantutte für dich zusammen und wo unterscheiden sie sich?

Kirill Serebrennikov Così fan tutte ist die musikalisch leichteste und inszenierungsfreundlichste der drei Da-Ponte-Opern. Das liegt daran, dass es in Così weniger Figuren gibt, aber auch an der Thematik. Der Tod und die Vergänglichkeit spielen in Le nozze di Figaro und Don Giovanni wie im ganzen Schaffen Mozarts eine viel größere Rolle. Und das halte ich für sehr wichtig, denn Mozart erscheint mir als eine Figur des Widerstands gegen den Tod. Er zeigt uns, wie wir es schaffen, trotz aller Umstände am Leben zu bleiben. Così fan tutte enthält aber nur einen kleinen Tropfen Finsternis und einen kleinen Tropfen des Todes. Es ist erstaunlich: In drei Stunden Musik steht nicht eine Ensemblenummer in Moll. Fast alles ist ein süßliches, leichtes Dur. Wir haben gerade deswegen versucht, diese Dunkel- heit, diesen Tropfen Abgründigkeit etwas hervorzuheben und zu vergrößern. Aber ganz klar: Im Figaro wird es noch düsterer, bevor es in Don Giovanni, die wir als letzte der drei Opern produzieren werden, ausschließlich darum geht, dem Angesicht des Todes, der anderen Seite des Lebens ins Auge zu schauen.

Die Kardinalfrage in Così fan tutte besteht in dem Problem der Verkleidung und des Nicht-Erkennens …

Kirill Serebrennikov … und diese Frage sitzt einem als Regisseur jeden Tag auf der Probe im Nacken. Wie ist so etwas überhaupt möglich? Wie kriegt man es hin, nachvollziehbar zu machen, dass die beiden Frauen ihre Verlobten nicht erkennen? Wir stellen uns vor, dass die beiden Männer, die da versuchen, die Frauen zu verführen, gar nicht Ferrando und Guglielmo sind. Es sind andere Männer, völlig andere Körper. Die beiden Figuren splitten sich auf in Stimme und Spieler, was auf der Opernbühne ja gar nicht so ungewöhnlich ist. Wenn etwa ein:e Darsteller:in krankheitsbedingt ausfällt, spielt ein:e Assistent:in die Rolle auf der Szene und ein:e Sänger:in steht offen zum Publikum gewandt am Graben und singt die Partie. Wir machen nichts anderes – nur ohne die Krankheit! Die Rezeption hat sich im Vergleich zur Entstehungszeit der Stücke einfach stark verändert. Le nozze di Figaro ist ein gutes Beispiel dafür. Wir können nachvollziehen, dass die Oper zu Mozarts Zeiten ein großer Erfolg war, weil sie lustig war. Nichts altert jedoch schlechter als Humor. Also müssen wir Neues in diesen Werken finden. Neue Witze und Themen, Fragen und Gefühle im Stück verorten.
Porträt von Kirill Serebrennikov
Regisseur Kirill Serbrennikov
Kein Wunder also, dass in dieser Inszenierung von Così fan tutte nichts mehr an die Entstehungszeit erinnert?

Kirill Serebrennikov Ich betrachte alle Figuren als Menschen unserer Gegenwart. Als Leute, die wir kennen, die uns ähnlich sind. Das funktioniert nur, wenn die Darsteller:innen keine abstrakten oder künstlichen Charaktere spielen. Wir wollen auf der Bühne ja Verständnis und Empathie erzielen. Dafür muss man archetypische Charaktere finden, Charaktere mit Problemen. Und alle Figuren im Stück treffen in ihrem Leben auf Probleme ganz unterschiedlicher Art. Die beiden Paare sind noch recht jung. Sie stehen am Anfang ihrer Lebensgeschichte, beginnen ihr großes Abenteuer. Don Alfonso und Despina haben dagegen schon mehr Erfahrungen gemacht. Sie kennen die Lehren, die einem das Leben erteilen kann. In einem so künstlichen Kosmos wie der Oper solche gegenwärtigen Erfahrungen erlebbar zu machen, ist nicht leicht. Es stellt sich ja schon die Frage, wie man mit einer Arie umgeht. Im echten Leben sprechen wir nie in Monologen. Selbst wenn Menschen Selbstgespräche führen oder Halluzinationen haben, sprechen sie mit jemandem. Die Gesprächspartner:innen sind nur unsichtbar. Also ist der Monolog, die Arie, auch immer eine Art Dialog. Und deshalb ist es wichtig zu verstehen, an welche imaginären Gesprächspartner:innen sich die jeweilige Figur wohl richtet. Daher zeigen wir die Geschichte und die Figuren auf mehreren Ebenen. So soll sichtbar werden, dass die jungen Frauen und Männer durchgängig mit ihren Erinnerungen und ihrem Unbewussten beschäftigt sind. Das Stück wird auf diese Weise mehr oder weniger zu einem psychologischen Essay.

Was gibt uns Mozart dafür musikalisch mit auf den Weg?

Kirill Serebrennikov Ich meine zu spüren, dass Fiordiligi Mozarts Lieblings- figur war. Mozart bemüht eine Vielfalt an verschiedenen musikalischen Richtungen und Stilen und diese Figur in ihrer emotionalen Breite erlebbar zu machen. Ich glaube, man kann sagen, dass Mozart einer der ersten Feministen im musikalischen Sinne ist. Grundsätzlich hat Mozart eine zärtliche Beziehung zur Menschheit als Ganzes, er ist ein großer Humanist, aber er scheint mir Frauen noch höher zu schätzen. In gewisser Weise ist Così fan tutte, was das angeht, tatsächlich ein bisschen altmodisch. Es geht darin um die Liebe von Männern zu Frauen. Aber das ist nichts Schlechtes, solange man versucht, es sorgfältig mit zeitgenössischen Perspektiven zu konfrontieren und mit aktuellen ästhetischen Strategien inszeniert.
Szene aus Così fan tutte
An manchen Stellen wirkt das Werk dann auch wieder ganz und gar nicht traditionell. Das vermeintliche Happy End scheint, selbst in der Tradition des »lieto fine«, mehr offen als »happy« ...

Kirill Serebrennikov Natürlich, denn es geht schlussendlich um junge Menschen, die auf die harte Wirklichkeit treffen und verstehen, dass alles verdammt komplex ist. Das Leben ist komplex, Beziehungen sind komplex, Menschsein ist komplex. Es gibt keine einfachen Antworten auf schwierige Fragen. Mozart zeigt uns am Anfang Menschen, die sich mit allem sicher sind. Sie sind sich sicher, welche Position sie in der Welt einnehmen, sie meinen, alle Regeln und zwischenmenschliche Tatsachen zu durchschauen. Doch plötzlich ist gar nichts mehr davon sicher und es wird klar, dass alles im Leben seine andere Seite hat. Und das zeigt sich ihnen: Sie sind alle Anfänger:innen und müssen wieder von neuem beginnen.

Schon zu Mozarts Zeiten galt das Stück als frivol und anzüglich. Wie entsteht sowas eigentlich auf der Bühne?

Kirill Serebrennikov Ganz ehrlich? Mozart ist einfach von selbst ziemlich sexy. Ich finde, seine Musik ist voll von Leidenschaft und Gefühlen. Sie ist ganz anders als Musik, die ihre Attraktivität und Schönheit aus der Möglichkeit kühler Distanz entwickelt und wie ein Designerstück vor uns steht. Bei Mozart ist es nicht möglich, außen vor zu bleiben. Diese Musik zieht uns in das Geschehen des Stücks und man findet sich sofort in dieser seltsamen Welt der beiden Pärchen wieder. Ich glaube, diese Form der Attraktivität hat damit zu tun, dass Mozart uns einen großen Reichtum an Details menschlichen Verhaltens vor Augen führt. Diese Figuren sehen nicht primitiv aus. Sie sind keine Opernklischees, sondern hoch komplex. Wenn man sich darauf einlässt, stößt man als Zuschauer:in auf die größten Schätze.

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