Der Komponist, seine Diva und die Schmuckstücke

»Es kommen noch andere schöne Sachen!«

Die Perlen der Cleopatra war zu Beginn der Goldenen Zwanziger ein Riesenerfolg – vor allem, weil ihr Komponist Oscar Straus und seine Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald mit der Operette ein sicheres Gespür für diese Zeit bewiesen. Bei ihrer deutschen und Berliner Erstaufführung 1924 herrschte in ganz Europa eine Ägyptomanie. In den Kaffeehäusern und Bars Berlins wurden Nil-Zigaretten geraucht, Modemacher, Juweliere und Friseure gestalteten Werke, die egal wie, aber doch ägyptisch aussahen. Die Büste der Nofretete war erstmals in Berlin zu sehen. Zwei Jahr zuvor wurde das Grab des Tutanchamun entdeckt. Allein darauf ist der Erfolg des Stücks über die ägyptische Pharaonin allerdings nicht zurückzuführen. Provokativ und subversiv witzig spottete sein Libretto über spießbürgerliche Moralvorstellungen und feierte eine neue Genussfreude am Ausleben urmenschlicher Triebe. Mitten hinein in dieses Stück frivoler Abendunterhaltung fand aber auch der Berliner Alltag seinen Widerhall, der geprägt war von Hyperinflation, Straßenkämpfen und Verelendung zahlreicher Milieus … Ein Einführung zur Geschichte der Operette von Simon Berger.

Von Wien nach Berlin – Weg eines Früh­ent­schie­denen

»Do geht er: der Walzertraum!« – Diese Worte richtete ein unbekannter Bauer in der Nähe des oberösterreichischen Kurorts Bad Ischl an einen kleinen Jungen neben sich. Soeben war an beiden der 83-jährige weltberühmte Komponist Oscar Straus mit kurzem Gruß vorübergegangen. Es war der Sommer 1953. So berichtet von Bernard Grun in dessen Kulturgeschichte der Operette.

Als Oscar Straus als Oscar Strauss 1870 in Wien geboren wurde, war Franz Joseph I. 40 Jahre alt, Kaiser und die Monarchie seit drei Jahren die sogenannte »kaiserlich und königliche«. Vier Jahre nach Oscar Straus erblickte Arnold Schönberg das Licht der Welt, und Johann Strauss brachte eines der Hauptwerke der Wiener Operetten-Ära zur Uraufführung: Die Fledermaus. Bis zum erwähnten Walzertraum sollten noch 37 Jahre vergehen und bis zu den Perlen der Cleopatra weitere 16. Die Eltern, Leopold und Gabriele, hatten zunächst ein Bankiers- und Kaufmannsleben für den jungen Oscar vorgesehen, doch das Kind interessierte sich nur für Musik. Ein Klavier wurde angeschafft, und alsbald fertigte der Junge eigene Kompositionen an. Als er 20 Jahre alt war, entschied Oscar, nach Berlin überzusiedeln. Hier studierte er zwei Jahre bei Max Bruch. Straus schwärmte von den Werken Offenbachs, Sullivans und Johann Strauss’. Bruch wies ihm mit den Worten »Ich möchte Sie nie mehr sehen und ich werde Sie verfluchen, wenn Sie es jemals wagen, musikalische Missgestalten zu fabrizieren wie ihr erbärmlicher Namensvetter!« den Weg – zur Tür. Den dahinter beginnenden stellte sein Biograf Franz Mailer unter den Titel eines Weltbürgers der Musik.

Der Weg nach oben – Vom »Über­brettl« zum Walzer­traum

Erste Station wurde das von Ernst von Wolzogen in Berlin gegründete »Überbrettl« an der Alexanderstraße. Obschon nach anderthalb Spielzeiten der Betrieb pleite ging, hatten die Künstler der Truppe einen sensationellen Erfolg in Berlin und waren auf Tournee durch ganz Europa. Den programmatischen Text zum Überbrettl lieferte Otto Julius Bierbaum, Autor, Journalist, Romancier und Verfasser eines der ersten Autoreiseberichte in deutscher Sprache. Er gab den Rahmen, in welchem auch Oscar Straus’ musikalisches und theatrales Denken zu verorten ist:
Wir werden diese alberne Welt umschmeißen! Das Unanständige werden wir zum einzig Anständigen krönen! Das Nackte werden wir in seiner ganzen Schönheit neu aufrichten vor allem Volke! Lustig und lüstig werden wir diese infame, moralklapprige Welt wieder machen, lustig und himmlisch frech!
Oscar Straus
Die ums Überbrettl versammelten Namen lesen sich heute wie das Who is Who gehobener Unterhaltung im Berlin des frühen 20. Jahrhunderts: Detlev von Liliencron war »literarischer Oberleiter«, gegeben wurde Christian Morgenstern, Fritz Oliven genannt Rideamus und natürlich Texte von Bierbaum. Musikalischer Leiter war der Komponist und Dirigent Victor Hollaender, neben Oscar Straus komponierte auch Arnold Schönberg für das Brettl.

Nach dem Untergang des Überbrettl setzten Oliven und Straus ihre Zusammenarbeit fort und reüssierten beim Berliner Publikum. Die Zuschauer waren begeistert von den Lustigen Nibelungen und nahmen alles Augenzwinkern, die politischen Seitenhiebe wider Germanentum und europaweit grassierenden Nationalismus dank- bar auf. Seine Lust am Kabarettistisch-Anarchischen musste Straus allerdings in den Folgejahren zügeln – eine gezwungene Konzession an den immer reaktionärer werdenden Zeitgeist. Der wirkliche Durchbruch gelang ihm 1907 in Wien mit jenem Werk, mit dem er über 40 Jahre später beim Wiesenspaziergang um Bad Ischl identifiziert werden würde: Ein Walzertraum. In wenigen Jahren erlebte es mehr als 1.000 Aufführungen. Die Kritik nannte es eine »Apotheose des Wienertums«.
Nach dem Zusammenbruch der europäischen Monarchien, einen Weltkrieg und einen Revolutionsversuch in Deutschland später, kehrte Straus nach Berlin zurück. Angeblich war es der Zufall, der einige Jahre später Alfred Grünwald und Julius Brammer in einem Kaffeehaus auf den größten Star der Berliner Gesellschaft treffen ließ: Fritzi Massary. Gefragt, woran sie arbeiteten, weihten Straus’ Librettisten die Massary in den Plan ihres neuen Projekts ein. Und sie war tatsächlich interessiert! Über Nacht musste ein Chanson für die Künstlerin erarbeitet werden. Anderntags veranstalteten die vier – Straus, Brammer, Grünwald und Fritzi Massary – eine erste Probe in ihrer Villa. Das kleine Stück war ein Volltreffer, denn die Diseuse erhielt mit drei unscheinbaren Silben genügend Material, um in Manier des Pariser Nachtclubs Chat noir auf alle erdenklichen Weisen zu improvisieren:
O-la-la, o-la-la,
das kann sehr viel sein;
O-la-la, o-la-la,
das kann ein Spiel sein.
Man sagt’s mokant, so ganz als Phrase:
O-la-la!
Man sagt’s pikant, so durch die Nase:
O-la-la!
O-la-la, o-la-la,
kann ein Gefühl sein.
O-la-la!
Das kann sehr schwül sein.
Man sagt es obenhin,
oft auch mit Nebensinn,
so ganz charmant,
sehr tolerant, so:
O-la-la!
Dann reserviert und
sehr schockiert, so:
O-la-la!

Der letzte Walzer zu den Perlen der Cleopatra

Das Trio Brammer/Grünwald/Straus hatte es geschafft. Um und für Fritzi Massary kreierten sie ein Werk, das Vorbild für zahlreiche noch folgende werden sollte. Es bot der Künstlerin Raum zu darstellerischer und stimmlicher Entfaltung, und gleichzeitig konnte Straus’ kompositorisches Genie glänzen. Das Berlin-Debüt gelang am 12. Februar 1920 im Berliner Theater an der Charlottenstraße: Der letzte Walzer wurde eine Sensation. Am Folgetag war Berlin ganz »O-la-la!« und durchlebte die Geburtsstunde der »Massary-Operette«.
Um wirklich künstlerisch anzukommen, bedurfte es aber noch einiger Jahre – nach achtbaren Arbeiten glückte die nächste Zusammenarbeit der drei erst in den Jahren 1922/23. Die große Inflation in Deutschland war noch nicht vorüber, und so wurde die Uraufführung dieses Werks nicht an der Spree, sondern an der Donau anberaumt. Die Perlen der Cleopatra waren ein gesellschaftliches Ereignis im Wien des Jahres 1923. Die Mitwirkung der Diva Massary verursachte ein Großaufgebot an Prominenz aus Politik, Journalismus und Kunstwelt.
In den Parterrelogen sitzen nur Generaldirektoren; die Gattinnentragen Chinchilla- und Breitschwanzmäntel. In den Balkonlogen haben Direktoren Platz genommen; ihre Gattinnen tragen Hermelinmäntel. Im Parterre sind ausschließlich Operettenkomponisten untergebracht: Sie füllenden Raum vollkommen aus. Die Galerie ist umgestaltet; dort befindet sich eine dunkle, homogene Masse – es handelt sich aber nicht um ›Publikum‹, sondern diese Masse repräsentiert die neueste Erfindung auf dem Gebiet der Applaudiertechnik, eine Präzisionsmaschine, die tadellos funktioniert.
So berichtete die Morgenzeitung über den äußeren Rahmen der Aufführung. Die Reaktionen auf die eigentliche Premiere fielen gemischt aus. Unbestrittener Star des Abends, den Direktor Mikja Prege höchstselbst in seinem Theater an der Wien inszenierte, war natürlich Fritzi Massary. Bewundert wurden ihr spielerisches Können, ihre Wandlungsfähigkeit, die Nonchalance ihrer Gesten, die Stilsicherheit in der Interpretation des Textes, Anmut, Blicke und ihre Kostümierungen: »Sie ist eine femme-chat«, jubilierte ein Kritiker. Neben ihr wurde der Tenor Richard Tauber für seine Darbietung des römischen Legionärs Silvius gelobt. Und auch den Gatten Massarys, Max Pallenberg, bedachte man für seinen Auftritt im dritten Akt als Marcus Antonius mit Lob. Die Librettisten hatten vorsorglich Wert darauf gelegt, dem gefürchteten Improvisator ausreichend Material zur Verfügung zu stellen …

Noch im Herbst 1923 wurde über eine Berliner Aufführung verhandelt. Das Publikum bedurfte »seiner« Massary, und nachdem es gelang, das Währungschaos mittels Einführung der Rentenmark zu ordnen, drängte sich ein Berliner Comeback des Komponisten mit einer Massary-Operette nach dem Letzten Walzer geradezu auf. Die von Massary verlangten Änderungen am Textbuch wurden gewährt, und am 22. März 1924 feierten Die Perlen der Cleopatra Premiere im Theater am Nollendorfplatz, dem heutigen »Goya«. Wieder war Richard Tauber mit von der Partie, doch nicht Massarys Ehemann, Max Pallenberg, gab den römischen Triumvir Marcus Antonius, sondern ein junger Schauspieler und Sänger namens Hans Albers.
Die neue Operette von Oscar Straus, die gestern ihre Erstaufführung im Theater am Nollendorfplatz erlebte, trug einen sehr großen Erfolg davon. Er war wesentlich der Massary zuzuschreiben,die alle ihre Künste springen ließ. Um die Cleopatra herum ist diese Operette geschrieben, und da die Massary mit ihrer wunderbaren Vielseitigkeit ausgiebig glänzen kann, nennen wir die Operette gut. Ein weiteres wird noch zu sagen sein.
Diese Notiz brachte die Vossische Zeitung am Sonntag nach der Premiere als erstes Statement vor der offiziellen Besprechung. Wieder war Fritzi Massary der Star des Abends: »Sie ist nie reifer, reicher und sicherer gewesen«, befand der Rezensent. Oscar Straus wurde für eingängige Melodien gelobt. Die Handlung wurde nicht ernst genommen, wiewohl das Libretto geschickt historische Fakten mit Anspielungen auf die politischen Zeitumstände zu verdrehen weiß. Spießbürgerglücksvorstellungen werden darin ebenso zum Ziel des Spotts wie gesellschaftspolitische Abgründe, die für das damalige Publikum Berliner Straßenwirklichkeit waren. Nicht nur durch die sichtbaren Folgen der Währungskrise infolge des Weltkriegs, auch die Kämpfe zwischen sozialdemokratischen, kommunistischen und rechten Parteien waren Teil des Berliner Alltagslebens – von der Verelendung zahlreicher Bevölkerungsgruppen ganz zu schweigen. Die kurze, als »Goldene Zwanziger« in die Geschichtsschreibung ein- gegangene Epoche relativer wirtschaftlicher Stabilität und Prosperität war keineswegs in allen gesellschaftlichen Schichten eine Phase beschwingten Amüsements.

»Cleo-, Cleo-, Cleopatra« – Alltags­mythen­kunst­ge­schichte

Mit der Geschichte um die im 1. Jahrhundert vor Beginn unserer Zeitrechnung lebende ägyptische Pharaonin Kleopatra wählten Oscar Straus und seine Librettisten einen Stoff, der sich wie kaum ein anderer für eine Erfolgsoperette anbot. »Ägyptomanie« herrschte in Europa, vor allem in England, Frankreich und auch Deutschland, fast ungebrochen seit Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts. Als Napoleon Bonaparte zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf den Spuren altrömischer Triumvire dem Nil entgegenzog, folgten ihm Ausgrabungsexpeditionen. Die exotischen Artefakte, aus Tempeln und Grabkammern gehoben und geraubt, wurden nach Europa verbracht, wo sie Neugier und lustvolle Beschäftigung mit der fremden Kultur entfachten.

Architektur, Grabbeigaben, Mumien, Tempel, Schmuckstücke, Pfeile, Bögen, Fächer, Instrumente, Töpfchen, Karaffen, Kisten – auf vielen Wegen gelangten unzählige Schätze des Altertums in nordeuropäische Hände, wo sie teils öffentlich präsentiert, öfter jedoch in klingende Münze verwandelt wurden. Geschäftstouristen zogen nach Ägypten, schändeten ungeniert Gräber und plünderten Tempel. Man brachte steinerne Skarabäen, Mumien und gar Obelisken mit. Auguste Mariette wurde 1895 mit der Gründung der Ägyptischen Sammlung in Kairo beauftragt und dämmte so den ungehinderten Kulturgüterstrom nach Norden ein. Neuen Auftrieb erhielt die Ägyptophilie durch ein spektakuläres Ereignis, das von der Weltöffentlichkeit mit Neugier begleitet wurde: die Entdeckung des Grabes von Pharao Tutanchamun im Jahr 1922. Im Tal der Könige hatte Howard Carter das Grab des Königs aus der 18. Dynastie des Neuen Reiches geöffnet.
Die Ägypten-Mode der Zeit fand Nachhall in Architektur, Mode und Alltagsleben. Zunächst in England und Amerika, von wo aus die High Society nach Ägypten reiste, um vor der Heimkehr Krawatten und Handschuhe mit ägyptisierenden Drucken zu erwerben. Man baute Bäder und Theater im ägyptischen Stil und feierte rauschende King Tut Parties.
In Berlin wurde 1924, im Jahr der Berliner Erstaufführung der Perlen der Cleopatra, die Büste der Nofretete der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – ein weiteres ägyptomanisches Großereignis. Mit Erscheinen des Tutanchamun-Sonderhefts der Berliner Massen- illustrierten Die Woche brach die Begeisterung für den Kind-König auch über Berlin und Deutschland herein. Im Heft warb ein mit Fragen der Langlebigkeit beschäftigtes Unternehmen aus Göppingen mit der bemerkenswerten Überlegung: »Das Grab Tut-ench-Amuns zu entdecken, hat Jahre gekostet! Jahre hat es aber auch gekostet, bis man die feinen Schuhpflegemittel von Eri entdeckt hat.« Ab jetzt rauchte man Nil-Zigaretten mit Orienttabak; Modemacher, Juweliere, Dekorateure und Friseure gestalteten ihre Werke nach antikem Vorbild. Manchmal durchaus fern vom Original: Ägyptisch war, was ägyptisch aussah.

Oscar Straus und seine Librettisten lagen mit ihrem Song vom »König Tutankamen« also ganz im Trend der Zeit. Die Perlen der Cleopatra waren en vogue – nicht das Altertum, sondern die Gegen- wart war gemeint. Provokationen und subversiver Witz des Stücks zielten auf Moral- und Wertevorstellungen, wie sie das Bürgertum des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Kaiserreichs kultivierte. Die Zensurschranke war erst fünf Jahre zuvor gefallen, und schnell entwickelte sich ein Markt für frivole Abendunterhaltung. Der bei Weitem nicht so freizügig war, wie es die rückschauende Erzählung oft suggeriert. Laisser-faire und Genussfreude trafen schnell auf moralisierende Gemüter, die militante Feindschaft zur Schau trugen. Von all jenen Lebensweisen, die nicht ins offizielle heterosexuelle Bild passten, ganz zu schweigen.

Der Perlen Kern – Wer ist Cleopatra?

Die Perlen der Cleopatra kreisen – wie jeder gelungene Beitrag zum Genre Operette – um den nie vollzogenen Sexualakt. Der Publikumserfolg des Werks dürfte aber nicht einfach nur mit dieser einfachen Einsicht und der Besetzung der Titelpartie durch Fritzi Massary erklärt sein. Diese ergänzt viel mehr das Prinzip des Werks in kongenialer Weise. Den Theatermachern der Zeit gelang es mit Cleopatra, die Problemchen von Verführung und Verweigerung in der modernen Gesellschaft zu inszenieren. Gängigen Ägypten-Klischees folgend, nutzten sie das exotistisch-erotische Image der ägyptischen Pharaonin zur lustvollen Verballhornung eines zutiefst »bürgerlichen« Problems: Absolute Macht und romantische Liebe schließen einander aus. Zugleich wird – nicht minder augenzwinkernd – die Problematik jeder Kultur und »Zivilisation« im Stück aufs Korn genommen: Gemeinschaftliche Ordnung gelingt nie ohne Triebverzicht. Und in der industrialisierten Welt bedeutet dies: Wo sich Geschäftsleute treffen, muss das individuelle Bedürfnis hintanstehen. Nach den Moraltrainings kirchlicher, kaiserlicher und frühbürgerlicher Provenienz war die Verhandlung herrschender gesellschaftlicher Moral kein triviales Thema. Die renitente Klage Cleopatras – »Immer einsam und allein, / immer Königin zu sein, / keinen Menschen, dem ich trau, / schließlich ist man doch auch Frau« – ist die »Verdopplung« einer Grundeinsicht der modernen Lebenswelt, und dürfte Zuspruch weit über die Grenzen des Theaterparketts hinaus gefunden haben.

Von Perlen und Kerlen – Schmuckstückkonsum

Der Topos der Perlen selbst geht aller Wahrscheinlichkeit nach auf den antiken Schriftsteller Plinius zurück. Er schrieb, Kleopatra habe beim Abendessen mit Marcus Antonius große und sehr teure Perlen am Ohr getragen, diese in einer Flüssigkeit aufgelöst und anschließend verzehrt. Grund sei eine Wette beider gewesen: wer wertvollere Speisen auftafeln könne. Die ägyptische Königin gewann dank ihrer großen, aus Persien stammenden Perlen.

Soweit die antike Literatur. Auf dem Theater sind Kleopatras Perlen ein Geschenk. Für die Komödie zumal, denn sie lassen das Problem der Titelfigur greifbar werden und entscheiden zugleich die Stückdramaturgie. An der Spitze ihres Staates stehend, ist Cleopatra in Liebesdingen absolut ohnmächtig. Die innere Zerrissenheit wird spätestens dann deutlich, wenn Minister Pampylos die Sterne deutet und sie seinen Spruch mit der Bemerkung beantwortet: »Denn ich füge mich nur einer höheren Gewalt.« Ihre kleinen runden Helfer sind Zeichen ihres Liebesverlangens und zugleich – für bürgerlich genormte Beziehungs- und Liebesvorstellungen – ein »Armutszeug- nis«. Denn den Männern der Cleopatra ist natürlich nicht klar, dass sie derart künstlich aphrodisiert in Liebeswahn versetzt werden. Das wirklich »romantische« Happy End besteht nicht, wie es das Libretto vorsieht, in der Umkehrung der Darreichung – Marcus Antonius gibt Cleopatra die aufgelöste Perle zu trinken –, sondern in der Zurückweisung des Mittelchens selbst und einer anderen »Lösung«.

Das Perlen-Motiv zeigt so den Mangel der Hauptfigur und über- nimmt zugleich »motorisierende« Funktion im Verlauf des Abends. Strenggenommen sind Die Perlen der Cleopatra nicht so sehr eine Komödie als Operette, sondern eine operettenhafte Revue. Denn das Problem Cleopatras ist zwar durchaus leidvoll, aber noch nicht dramatisch interessant – es ist ein Problemchen im Innenleben der Figur und nicht zwischen den dramatischen Charakteren situiert. Daran ändert auch die Figur des Pampylos nichts, der zwar als Gegenposition zur Titelfigur fungiert, aber nicht im Widerspruch zu ihr steht.
Aus dieser scheinbaren Not aber machen Straus, seine Librettisten und ihre Hauptdarstellerin eine Tugend. Wo das Stück der »dramatischen Kollision« entbehrt, ist die Verquickung von Staats- und Eigeninteresse in Dialogen zwischen Pampylos und Cleopatra entscheidend. Letztlich spinnt der erste Minister eine Intrige um die Königin herum, die sie selbst, nämlich ihre eigentliche Kernaufgabe, zum Ziel hat: das Staatswohl – das im Falle der Monarchin am »Privatwohl« hängt. Ähnlich den Figaros und Malatestas der Buffo-Oper schmiedet Pampylos einen Plan, dessen Gelingen von der Vorhersehbarkeit der charakterlichen Eigenart und Schwäche der anderen Figuren abhängt. Das erotische Verlangen der Königin aber ist wahllos. Nicht Beladonis, sondern Silvius wird zum Objekt der Begierde, und so schnurren die Verwicklungen ab. Dem Komponisten kommt die so produzierte Stationen-Logik – Liebhaber folgt auf Liebhaber wie die Perlen an einer Kette – für die musikalische Gestaltung entgegen. Er kann sich auf die Komposition von Wiederholungen, Kontrast-Szenen und Paradenummern konzentrieren und zugleich einen Klangreigen von Walzer über Chanson bis hin zum Liebesduett in spätromantischer Manier erschaffen.

Perlen der Massary und Walzer­traum in Düssel­dorf

Auf Die Perlen der Cleopatra folgten als Massary-Operetten in Straus’ Schaffen Teresina (1925), Die Königin (1926) und als letzter gemeinsamer Wurf Eine Frau, die weiß, was sie will!(1932). Vor der Machtübertragung an die Faschisten flohen die Künstler in die Emigration – Fritzi Massary kehrte nie aus den USA zurück.

Oscar Straus, so wird berichtet, reiste nach dem Zweiten Welt- krieg, im Alter von 80 Jahren, durch Düsseldorf und blieb kurzentschlossen in der Stadt. Das Theater gab, fast ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung, Ein Walzertraum. Er besuchte die Vorstellung und wurde erkannt. Mit dreimaliger Wiederholung dirigierte Straus auf Wunsch der Anwesenden das Walzer-Intermezzo zum Zwischen- akt und rief schließlich: »Danke, danke, aber bitte beruhigen Sie sich – und vergessen Sie nicht, es geht noch weiter, und es kommen noch andere schöne Sachen!« Dieser Spruch gilt auch für Die Perlen der Cleopatra, das in zensierter und reduzierter Fassung – man darf sagen: sträflich humorbefreit und prüde – in den 1950er Jahren ein Schattendasein fristete. Während sein hochbetagter Komponist im Sonnenschein auf österreichischen Wiesen wanderte, harrte das Werk der Dinge, die da kommen sollten.

Aber was ist schon ein halbes Jahrhundert angesichts der 3.200 Jahre, die König Tutanchamun auf seine Wiederentdeckung warten musste.
April 2025
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Wieder da!
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